Bundestrainer Heiner Brand will zum Ende seiner Amtszeit heute die EM sichern. Ein Sieg in Österreich ist für Deutschland Pflicht.

Hamburg. Gestern wartete die "Handballwoche" mit einem Sonderheft auf. Es verspricht auf dem Titel einen exklusiven Rückblick auf Heiner Brands "Höhen und Tiefen als Bundestrainer". Vielleicht hätte das Fachorgan gut daran getan, die Veröffentlichung noch ein paar Tage zurückzuhalten. Denn den Tiefpunkt seiner nahezu 15-jährigen Amtszeit könnte Brand, 58, noch vor sich haben: heute. Dann trifft seine Auswahl um 20.30 Uhr in Innsbruck in der EM-Qualifikation auf den Gruppenersten Österreich, Eurosport überträgt live. Sollte sie den Vergleich verlieren, droht sie nicht nur das Turnier im Januar 2012 in Serbien zu verspielen, sondern auch die letzte Chance auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in London.

Brand will sich mit diesem Szenario gar nicht beschäftigt haben: "Ich konzentriere mich darauf, wie wir gewinnen können, alles Weitere kommt danach." Zum Weiteren gehört, dass Brand nach dem letzten Qualifikationsspiel am Sonntag in Trier gegen Lettland (15.15 Uhr/ZDF) den neu geschaffenen Posten des Handballmanagers beim Deutschen Handball-Bund (DHB) übernimmt und sein Amt vorzeitig an seinen Assistenten Martin Heuberger übergibt - die offizielle Bestätigung dieser Personalie steht noch aus.

Dabei würden sich düstere Gedanken gerade in Innsbruck aufdrängen. Hier begann im vergangenen Jahr mit dem zehnten EM-Platz Brands Verwandlung vom Erfolgstrainer zum Problembären des deutschen Handballs. Brand, den gewieften Taktiker mit oberbergisch-herbem Charme, hat man seither immer häufiger als scheinbar amtsmüden Grantler erlebt, der vergeblich den Respekt vor seiner Lebensleistung einklagt.

Tatsächlich spricht viel dafür, dass die kurze Schwächephase der Nationalmannschaft nicht in erster Linie sein Verschulden ist, so wie ihr langer Höhenflug zuvor nicht allein sein Verdienst war. Brands goldene Generation beginnt zu ergrauen, und die Nachfolger strahlen trotz ausgiebigen Polierens einen vergleichsweise blassen Schimmer aus. Bei der WM in Schweden im Januar sackte der Weltmeister von 2007 auf Platz elf ab. "Dass es irgendwann so kommen würde, hat Heiner Brand selbst schon vor zehn Jahren prophezeit", sagt DHB-Vizepräsident Horst Bredemeier. So lange also kreist die Anklage schon um die Frage, ob die Bundesligaklubs genug für die Ausbildung deutscher Talente tun.

Das Urteil ist mit dem Amtswechsel vorerst vertagt. Die Mannschaft sei allemal gut genug, um heute das Schlimmste zu verhindern, sagt Bredemeier, und sie habe etwas gutzumachen. An Brands Ehrgeiz hege er trotz des Rückzugs keinen Zweifel: "Er hat das größte Interesse an einem erfolgreichen Abgang."

Wie vor dem 39:28-Sieg im März gegen Island hat Brand die Mannschaft wieder in Kleingruppen aufgeteilt, die Videos studieren und Taktiken erarbeiten sollten. Diese Maßnahme diene der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins. Ebendaran hatte es zuletzt Zweifel gegeben, als sich zu zwei Testspielen gegen Norwegen die halbe Mannschaft entschuldigen ließ. Diesmal aber hat Kapitän Pascal Hens, kaum mit Michael Kraus von der Meisterfeier des HSV eingetroffen, "gemerkt, dass jedem bewusst ist, dass es eines der wichtigsten Länderspiele der letzten Jahre ist." Im Falle eines Scheiterns aber müsse sich jeder hinterfragen, ob er professionell gearbeitet habe, sagt Bredemeier.

Bei den Frauen hat der DHB den Schnitt bereits vollzogen. Sie verteidigen mit dem neuen Bundestrainer Heine Jensen am Sonnabend in Ungarn einen Zweitorevorsprung aus dem Hinspiel, um zur WM nach Brasilien zu fahren und die Hoffnung auf Olympia aufrechtzuerhalten. Innerhalb von vier Tagen kann der deutsche Handball somit viel von dem Erbe verspielen, das vor allem die Männer über ein Jahrzehnt herausgeschlagen haben.

"Auch andere große Handballnationen haben schon Olympia verpasst", beschwichtigt Bredemeier. In Österreich nehmen sie den Deutschen ihre Gelassenheit nicht ab: "Für Deutschland wäre es eine Katastrophe, bei einem Großereignis zu fehlen", sagt Nationaltrainer Magnus Andersson, "wir haben sicher weniger Druck."