Boxerin Susi Kentikian schrieb ein Buch über ihre Vergangenheit als Flüchtlingskind. Am Sonnabend wird sie wieder in den Ring steigen.

Hamburg. Wenn Susi Kentikian am Sonnabend im Universum-Gym (Walddörferstraße, live bei "Bild.de") gegen die Mexikanerin Ana Arrazola in den Ring steigt, ist es ihr erster Kampf seit Juli 2010. Untätig war die 23 Jahre alte Dreifach-Weltmeisterin im Fliegengewicht jedoch nicht. Am Montag ist ihre Autobiografie "Mir wird nichts geschenkt" erschienen.

Abendblatt: Frau Kentikian, was denkt eine 23-Jährige, die ihr Leben zwischen zwei Buchdeckeln sieht?

Susi Kentikian: Ich kann es noch immer kaum glauben, dass ich ein Buch veröffentlicht habe. Wer so etwas tut, so habe ich immer gedacht, der hat wirklich etwas erlebt in seinem Leben. Und ich finde, dass das auf mich auch durchaus zutrifft. Es musste mal raus aus mir, deshalb war es der richtige Zeitpunkt.

Sie erzählen eindringlich von Ihrer Vergangenheit als armenisches Flüchtlingskind, obwohl Sie das Thema seit Jahren meiden. War das Buch eine Art Therapie, um das Geschehene zu verarbeiten?

Kentikian: Therapie würde ich es nicht nennen. Aber dieses Buch soll ein Schlussstrich unter meine Vergangenheit sein. Ich wollte darüber nicht mehr sprechen, habe aber gemerkt, dass es die Menschen noch immer sehr interessiert. Deshalb habe ich gesagt: Jetzt schreiben wir einmal alles auf, dann wird darüber vielleicht ein halbes Jahr geredet, und dann habe ich meine Ruhe.

Welcher Teil der Beschäftigung mit Ihrer Vergangenheit war besonders hart?

Kentikian: Der schwierigste Teil waren die drohende Abschiebung und die schlaflosen Nächte. Als ich mich daran erinnerte, hatte ich Gänsehaut. Ich habe alle Erinnerungen meinem Co-Autor erzählt, der hat sie aufgeschrieben, und dann habe ich die fertige Fassung gelesen. Bei der Szene, wo die Polizei uns abholt, ging es mir beim Lesen richtig schlecht. Ich fühlte mich zurückversetzt, das Ganze war total unwirklich.

Sie beschreiben Ihre Familie als den Halt in Ihrem Leben, es entsteht ein Bild einer Einheit, die nichts erschüttern kann...

Kentikian: ...genauso ist es auch. Wir haben lange zu viert in einem einzigen Zimmer gehaust. So etwas schweißt zusammen. Ich mache meinen Beruf ja nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie. Ich weiß ja, was meine Eltern für meinen Bruder und mich durchgemacht haben. Jetzt will ich ihnen etwas zurückgeben. Auch wenn ich mittlerweile eine eigene Wohnung habe, bin ich häufig bei meinen Eltern, dort habe ich noch mein Zimmer.

Sie erzählen auch offen von der psychischen Krankheit Ihrer Mutter in der Zeit, als Sie in Angst vor Abschiebung lebten. Wie geht es ihr heute?

Kentikian: Zum Glück geht es ihr jetzt sehr gut, seit sich die Umstände gebessert haben, sie ist ein neuer Mensch geworden, und darüber bin ich sehr froh.

Zum ersten Mal lassen Sie auch einen Blick in Ihr Privatleben zu. Allerdings erfährt man über Ihren Freund nur, dass es ihn gibt. Warum?

Kentikian: Ich wurde so häufig gefragt, ob ich einen Freund habe. Deshalb habe ich entschieden, es in meinem Buch zu erzählen, dass ich einen habe. Er lebt nicht in Hamburg, wir sehen uns nicht oft. Er ist auch Sportler.

Es gibt im Buch diverse Formulierungen, die sich nicht so lesen, als seien sie von Ihnen, wenn es um Politik oder Religion geht. Das fällt vielen auf, die Sie kennen. Ist das für Sie ein Problem?

Kentikian: Nein, gar nicht. Ich bin sehr zufrieden damit, wie es geschrieben ist. Ich wollte nicht, dass es in meiner manchmal doch kindlichen Sprache aufgeschrieben wird. Viele der Gedanken habe ich nie öffentlich geäußert. Aber es sind meine Gedanken. Natürlich rede ich nicht stundenlang über Politik. Aber ich beschäftige mich damit.

Welche Botschaft soll nach der Lektüre beim Leser im Kopf bleiben?

Kentikian: Ich möchte allen, die Ähnliches erleben, Mut machen, damit sie sehen, dass man es schaffen kann, auch wenn es einem mal ganz schlecht geht. Jeder denkt wahrscheinlich erst: 'Ach, die Arme!' Am Ende aber soll jeder denken: 'Sie hat sich von ganz unten hochgearbeitet, und ich kann das auch!' Ich gebe zu, dass es bei mir nach der Lektüre so war. Ich dachte: Mädchen, Du hast wirklich etwas geschafft. Danach dachte ich allerdings sofort: Du musst noch mehr Gas geben, um allen, die an Dich geglaubt haben, etwas zurückzugeben.

Da passt es gut, dass Sie am Sonnabend endlich wieder in den Ring steigen, und das erstmals nach dem Abschied von Universum für Ihren neuen Promoter Ulf Steinforth. Was hat sich verändert?

Kentikian: Dadurch dass dieser Kampfabend noch einmal im Universum-Gym stattfindet, fühlt sich alles an, als wäre ich nie weg gewesen. Ulf Steinforth ist jetzt mein Ansprechpartner in Sachen Kampfplanung. Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Denn mein Trainer ist immer noch Magomed Schaburow.