Vitali Klitschko verteidigt seinen WM-Titel im Schwergewicht durch Erstrundensieg über den Kubaner Odlanier Solis, der sich schwer am Knie verletzt

Köln. Als der Sturm der Entrüstung über ihn hereinbrach, da tat Odlanier Solis das, was er in den Tagen vor dem Showdown oft getan hatte: Er starrte auf den Fußboden. Seltsam unbeteiligt wirkte der Mann, den sie "Schatten" nennen, so als ginge ihn das alles gar nichts an. Der geballte Frust seines Promoters Ahmet Öner, die wüsten Beschimpfungen seines Gegners Vitali Klitschko und die gellenden Pfiffe der Fans in der ausverkauften Lanxess-Arena, Solis schien sie wahrzunehmen wie durch eine Milchglasscheibe, undeutlich, verschwommen.

Er war ein Rätsel in den Tagen vor dem Kampf, als er auf sämtliche verbale Provokationen und auf Anraten seines Trainers Pedro Diaz auch auf Blickkontakt mit Klitschko verzichtet hatte, und er wird es weiterhin bleiben. Jeder fragte sich, ob es mangelnde Selbstsicherheit war oder extreme Lässigkeit, die Solis so abwesend wirken ließ, und die Antwort auf die wichtigste Frage, ob dieser 30 Jahre alte, übergewichtige Kubaner tatsächlich derjenige sein würde, der die Ära des 39 Jahre alten WBC-Weltmeisters im Schwergewicht würde beenden können, ist in Köln nicht befriedigend erteilt worden.

Ein Blick in den Kampfrekord sprach am Sonntagmorgen zwar eine deutliche Sprache, immerhin ist dort ein K.-o.-Sieg für den Champion in Runde eins verzeichnet. Aber jeder aufmerksame Beobachter hatte in den ersten Minuten des Duells einen Pflichtherausforderer gesehen, der schnell seine Distanz zum 13 Zentimeter größeren Weltmeister gefunden und diesen mit ansatzlosen Haken links wie rechts mehrfach getroffen hatte. Solis, als Amateur Olympiasieger und Weltmeister, deutete die Klasse an, die ihm in 17 Profikämpfen 17 Siege beschert hatte.

Dass Solis Klitschko technisch das Wasser reichen könnte, wusste man. Fraglich war unter Experten einzig gewesen, welche Nehmerfähigkeiten er den Schlagwerkzeugen des "Doktor Eisenfaust" würde entgegensetzen können. Die Antwort auf diese Frage gab es bereits kurz vor Ende der ersten Runde. Klitschko konterte eine Attacke mit dem rechten Haken, Solis taumelte mit der für Schläfentreffer typischen verzögerten Reaktion rückwärts, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Hintern. Als er sich am Ringseil hochzog, war deutlich, dass er sich nicht wieder würde stellen können. Ringrichter Guadalupe Garcia (Mexiko) brach das Duell mit dem Schlussgong ab.

"Ich hätte gern gesehen, wie der Kampf sich in den nächsten Runden entwickelt hätte", sagte Klitschkos Trainer Fritz Sdunek. Das hatte er mit den Zuschauern gemein, die in ein minutenlanges, wütendes Pfeifkonzert ausbrachen. Klitschko beugte sich über den Kubaner und bedachte ihn ebenfalls mit Flüchen. "Ich dachte, dass er simuliert. Es war ein harter Treffer, aber kein Blackout-Treffer", sagte er. Das Problem war jedoch, dass nicht nur Solis' Gleichgewichtssinn gestört war. Beim Sturz hatte er sich das rechte Knie verdreht. Eine Kernspintomografie im Kölner Uni-Klinikum bestätigte in der Nacht einen Kreuzbandriss sowie Knorpel- und Meniskusschäden.

Dass sich trefflich darüber streiten lässt, ob es der Schlag oder der anschließende unglückliche Sturz war, der zum Kampfende führte, bewiesen auf der Pressekonferenz Solis' Promoter Öner und Klitschko-Manager Bernd Bönte, die ihre seit zwölf Jahren schwelende Privatfehde auf öffentlicher Bühne auslebten. Bönte, der von Öner in der Vergangenheit mehrfach bedroht und angegriffen worden war, kostete den Triumph noch im Ring weidlich aus und bezichtigte den impulsiven Türken ob des Verweises auf die Knieblessur der faulen Ausrede. Der für seine unkontrollierten Wutausbrüche berüchtigte Öner belegte ihn daraufhin lautstark mit all den Schimpfworten, wegen derer der live übertragende Sender RTL, der sich über durchschnittlich 10,98 Millionen Zuschauer freuen konnte, den ursprünglich von Solis erbetenen Walk-in-Song "Auf die Fresse" des Skandalrappers Sido abgelehnt hatte.

Es war an Vitali Klitschko, die Wogen zu glätten. "Ich entschuldige mich, dass ich nicht zeigen konnte, wofür ich mich vorbereitet habe. Aber am Ende zählt das Ergebnis. Es ist traurig, dass Solis sich verletzt hat. Ich wünsche gute Besserung", sagte er. Die Frage nach einem Rematch, das Öner forderte, stellt sich nicht, der Weltmeister hat andere Pläne. Der Traum, gemeinsam mit Bruder Wladimir, Weltmeister von WBO und IBF, alle vier Titel zu vereinen, soll am 2. Juli Wirklichkeit werden, wenn Wladimir gegen den britischen WBA-Weltmeister David Haye antritt. Da der jüngere Klitschko jedoch noch an den Folgen eines Bauchmuskelrisses laboriert, könnte Vitali einspringen. Ein Kampf im Juni gegen den Briten Dereck Chisora sei ebenso denkbar wie ein Auftritt im September gegen den Polen Tomasz Adamek. Dann wäre Vitali Klitschko 40 Jahre alt, und weil Kämpfe meist länger dauern als drei Minuten, wird er nicht mehr viele davon bestreiten. Solis muss gegen einen anderen Weltmeister beweisen, dass er mehr kann, als auf den Boden zu starren.