Frank von Behren, früherer Kapitän des Nationalteams, über die psychischen Belastungen des Profisports und das Loch nach der Karriere.

Hamburg. Frank von Behren ist diesmal nicht des Handballs wegen nach Hamburg gekommen. Bei der Ergo-Versicherungsgruppe absolviert der frühere Kapitän der Nationalmannschaft derzeit ein Praktikum im Rahmen seines BWL-Studiums. Am Sonntag wird er allerdings in der Sporthalle Hamburg sein und das Champions-Lea gue-Spiel des HSV gegen Kolding (17 Uhr) für Eurosport kommentieren. "Mit dem Abstand, den ich inzwischen vom Sport gewonnen habe, kann ich ihn auch wieder genießen", sagt er. In seiner aktiven Karriere, die er 2008 beendete, sei der Handball für ihn lange Zeit nur noch eins gewesen: eine Quälerei.

Abendblatt:

Herr von Behren, wir kannten Sie bisher als Handballer. Sind Sie schon in Ihrem neuen Leben angekommen?

Frank von Behren: Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass das Tragen eines Anzugs schon zur Gewohnheit geworden ist. Es ist ein grundlegend anderes Leben als das eines Leistungssportlers, mit einem festen Rhythmus und täglich festgelegten Arbeitszeiten. Ich kann nicht sagen, dass es weniger anstrengend ist. Es ist in jedem Fall sehr spannend und hilfreich, Sportsponsoring und -kommunikation von einer anderen Seite kennenzulernen.

War Ihre Handballerkarriere eine gute Vorbereitung fürs normale Berufsleben?

Von Behren: Ich denke schon. Im Leistungssport lernt man, Verantwortung zu übernehmen, im Team zu arbeiten, Probleme zu lösen. Das Denken in hierarchischen Strukturen hingegen, wie man es in großen Unternehmen kennt, ist mir fremd. Im Leistungssport ist jeder vom eigenen Ehrgeiz getrieben.

Braucht eine Mannschaft keine Hierarchie? Gerade sie schien der Nationalmannschaft bei der WM zu fehlen.

Von Behren: Richtig. Heiner Brands erfolgreiche Mannschaft von 2004 hatte eine funktionierende Hierarchie. Dass sie heute fehlt, ist auch ein Generationenproblem: Nicht alle Spieler handeln eigenverantwortlich, sondern erwarten zunehmend Anweisungen von oben.

Dabei heißt es sonst oft, die Profis seien mündiger geworden.

Von Behren: Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Die Trainer beten vor, den Spielern wird zudem alles auf dem Silbertablett serviert. Man muss sich um nichts mehr selbst kümmern, sogar die Trainingskleidung wird gewaschen. Es wird auch wesentlich mehr auf Ernährung Wert gelegt, Nahrungsergänzungsmittel sind die normalste Sache der Welt. Das halte ich im Übrigen für den richtigen Weg, das Problem ist nur: Es wird von außen instruiert. Nur so behält der Trainer die Kontrolle über seine Spieler. Diese Professionalisierung ist vielleicht unumgänglich, verhindert aber die individuelle Entwicklung. Spieler werden zu Maschinen, die funktionieren müssen - nichts anderes zählt.

Vermissen Sie den Handball?

Von Behren: Ja und nein. Einerseits liebe ich diesen Sport und weiß, was ich ihm zu verdanken habe. Andererseits habe ich mich in den Handball geflüchtet, ohne nach links und rechts zu schauen. Ich würde behaupten, 90 Prozent der Profis gehen mit Scheuklappen durchs Leben. Die meisten Kontakte hat man mit Menschen aus dem unmittelbaren Handballumfeld. Das limitiert die Auswahl an Gesprächsthemen. Außerdem muss man sich mit Handball auch in seiner Freizeit auseinandersetzen, wenn man erfolgreich sein will. Mein alter Trainer Velimir Kljaic sagte immer: "Wenn ich dich nachts wecke und dich frage, was wir gegen Hamburgs 3:3-Deckung spielen wollen, musst du mir sofort alle Spielzüge nennen können." Dass sich die Welt nicht nur um den Handball dreht, habe ich als Spieler nie zu spüren bekommen. Der rote Teppich wird überall ausgerollt. Es wird eine Scheinwelt aufgebaut, die man selbst als real empfindet.

War es bei Ihnen anders?

Von Behren: Ich habe genauso gelebt. Im Urlaub habe ich Wochen gebraucht, um Abstand vom Handball zu gewinnen. Der immense Druck, der auf jedem Spieler lastet, fällt ja nie ab, im Gegenteil: Das nächste Spiel ist ja schon in drei Tagen. Früher konnte man sich an einem Sieg eine Zeit lang erfreuen. Heute musst du es sofort abhaken und sagen: Es geht weiter. Man muss wesentlich mehr Erfahrungen und Emotionen schneller verarbeiten.

Wie macht man das?

Von Behren: Im Grunde kann man sich von dem Druck nur lösen, indem man Niederlagen schnell verdrängt und Negativerlebnisse nicht an sich heranlässt. Aber auch positive Erlebnisse müssen schnell abgehakt werden, sonst verleiten sie zu Leichtsinn und Überheblichkeit. Ich musste ab und an Dampf ablassen. Das haben wir im Team gemacht, es hat uns zusammengeschweißt. Die Seele brauchte das. Für den Körper war es natürlich Gift. Heute geht das nicht mehr. Umso wichtiger ist die mentale Unterstützung.

Würden Sie noch einmal eine solche Karriere anstreben?

Von Behren: Sagen wir mal so: Wenn mein Sohn den Wunsch hat, Handball zu spielen, werde ich nicht laut Hurra schreien. Es ist eben nicht das schöne Leben, als das man es sich vorstellt, auch wenn man eine Menge Geld verdienen kann. Du willst dir nur nicht eingestehen, dass es eine Quälerei ist - von einigen wenigen Highlights abgesehen.

Sie meinen die großen Turniere?

Von Behren: Als junger Spieler freust du dich wie ein Schnitzel darauf. Aber es wird zunehmend zur Belastung. Und irgendwann sagt der Körper: Es geht nicht mehr.

Haben Sie deshalb Ihre EM-Teilnahme 2004 abgesagt?

Von Behren: Ich wusste, dass ich nach einer Verletzung körperlich und mental noch nicht so weit war, um der Mannschaft zu helfen. Ich wollte mich auch selbst schützen. Rückblickend war das sicher egoistisch. Und ich hatte nicht den Mut, offen mit Bundestrainer Heiner Brand darüber zu reden.

Dürfen Handballer keine Angst haben?

Von Behren: Nein, und das ist ein ganz großes Problem. Schwäche zu zeigen ist im Leistungssport verpönt, das ist völlig ausgeschlossen. Man spricht darüber auch nicht. Bezeichnend war für mich, dass sich Werder Bremens Kapitän Torsten Frings geärgert hat, weil jemand ausgeplaudert hat, dass sich die Mannschaft im Abstiegskampf von einem Mentaltrainer helfen lässt. Dabei müsste es fester Bestandteil des Trainingsplans sein. Zu 80 Prozent werden die Spiele sowieso im Kopf entschieden. Man hat das auch in unserem WM-Spiel gegen Spanien gesehen, das wir in den Schlussminuten noch aus der Hand gegeben haben. Die Spanier sind uns mental voraus. Sie haben Persönlichkeiten in der Mannschaft, die nur darauf warten, ein Spiel noch herumzureißen. Bei uns wurde nur noch parallel zum Tor gegangen. Das hat mit Können nichts zu tun. Psychologie sollte im Sport nicht nur ein Thema sein, wenn wieder etwas Schlimmes passiert. Sie ist ein Erfolgsfaktor, wenn nicht sogar der wichtigste.

Auch die Nationalmannschaft hat schon Motivationstrainer hinzugezogen.

Von Behren: Man muss da zwischen Teambuilding-Maßnahmen und individueller mentaler Betreuung unterscheiden. Teambuilding war immer ein Thema bei der Nationalmannschaft und hat vielleicht ein paar Prozent gebracht. Mit einer individuellen Betreuung muss sicher behutsam umgegangen werden. Kein Spieler kann dazu verpflichtet werden, schließlich muss man sich öffnen, Probleme ansprechen, Ängste eingestehen. Heiner Brand ist die Problematik durchaus bewusst; es gab auch Ansprechpartner für uns. Die Möglichkeiten wurden aber kaum genutzt, weil keiner der Erste sein wollte, der Schwäche zeigt. Dabei ist vielen die psychische Belastung anzusehen: eingefallene Wangen, der Blick stets nach unten - das habe ich auch bei mir beobachtet. Aber geredet wird darüber unter Leistungssportlern kaum. Ablenkung und Verdrängung stehen im Vordergrund, Reflexion und Verarbeitung finden zu wenig statt. Das ist schade, wenn nicht sogar katastrophal. Denn viele Verletzungen treten dann auf, wenn man psychisch am Boden ist.

Inwiefern hat dieser Druck auch Ihre Entscheidung befördert aufzuhören?

Von Behren: Ich war froh, als es vorbei war, das war eine Befreiung. Ich konnte nach diversen schweren Verletzungen nicht mehr, es hat mir auch keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe früh angefangen, mich auf die Zeit nach der Karriere zu freuen und etwas Neues anzufangen, obwohl ich von übertriebenem Ehrgeiz getrieben war. Die Aussicht auf ein anderes Leben hat mich zwar über Wasser gehalten, war aber nichts anderes als pure Verdrängung. Letztlich kommen die verletzungsfrei durch, die nicht nur die körperlichen Voraussetzungen haben, sondern sich auch mit der psychischen Situation professionell auseinandersetzen. Bei mir fehlte beides.

Haben Sie im Nachhinein psychologische Hilfe in Anspruch genommen?

Von Behren: Ja. Als Sportler habe ich gelernt, mir zwar ein dickes Fell anzulegen, um den Attacken, denen ich mitunter ausgesetzt war, zu trotzen. Aber erst nach der Karriere hatte ich die Zeit, innezuhalten und zu reflektieren, um zu erkennen, was da falsch gelaufen ist.

Sind Handballer besser auf das Leben danach vorbereitet als etwa Fußballer?

Von Behren: Nein. Nur die wenigsten schaffen es, nebenbei eine Ausbildung oder ein Studium zu machen. Allerdings gerät man nicht so früh in die Entmündigungsspirale wie Profi-Fußballer, die schon in jungem Alter viel Geld verdienen. Sie haben ja kaum die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Für mich ist das eine moderne Form des Menschenhandels. Aber auch für jeden Top-Handballer wird es ganz schwer, ins normale Leben zurückzukehren. Die meisten Profis fallen nach ihrer Karriere in ein Loch - nicht nur finanziell. Viele Spieler stellen es sich einfach vor, durch ihre Beziehungen später einen Job zu finden. Eine konkrete Vorstellung von dem, was sie erwartet, haben die wenigsten.

Was würden Sie einem Spieler für die Karriereplanung raten?

Von Behren: Wichtig ist, dass man eine Vertrauensperson hat, die einen unterstützt. Das kann auch ein Spielerberater sein. Den meisten von ihnen geht es aber leider nicht um die Betreuung des Sportlers, sondern darum, dass ihr Konto stimmt. Mir standen mein Vater und ein guter Freund zur Seite.

Haben sie Ihnen abgeraten, nach Kiel zu gehen? Sie hatten 2000 ein Angebot.

Von Behren:

Es war Horst Bredemeier, unser Manager in Minden, der mir abgeraten hat, weil es zu früh für mich sei. Ich kann seine Sicht verstehen. Leider kam die Chance nie wieder. Ich hätte mich der Herausforderung gern gestellt, auch wenn es genügend Beispiele von Spielern gibt, die es nicht geschafft haben. Ein Jahr später war ich mir mit Kiel schon einig, aber dann kam der Kreuzbandriss, und der THW zog sein Angebot zurück.

Sie haben sich nie vollständig von dieser Verletzung erholt und auch den WM-Heimsieg 2007 verpasst.

Von Behren:Ich hatte vorher nie etwas. Aber mit solchen Verletzungen verhält es sich nach meiner Erfahrung so: Wenn du einmal eine hattest, kommt die zweite bestimmt. Man hat die Veranlagung, bewegt sich anders. Nach dem ersten Kreuzbandriss war ich völlig am Boden, ich habe noch im OP geheult - aber auch vor Erleichterung, weil der Druck abfiel. Nur: Der ist ja nicht weg, er kommt wieder, sobald man fit ist.

Sebastian Deisler ist an diesem Druck zerbrochen und hat seine hoffnungsvolle Fußballkarriere mit 27 Jahren beendet. Teilen Sie seine Erfahrungen?

Von Behren: Ich würde nicht von Depressionen sprechen. Aber nachdem ich Deislers Buch gelesen habe, glaube ich sagen zu können, dass ich im Fußball, wo die Medienaufmerksamkeit noch größer ist, ähnliche Probleme hätte.