Vor dem Spiel gegen HSV erklärt Wolfsburgs neuer Cheftrainer Littbarski den Begriff Fußball-Söldner und warum er nicht geduzt werden will.

Wolfsburg. Gestern Co-Trainer, heute Cheftrainer und morgen vielleicht wieder arbeitslos. Pierre Littbarski, 50, erlebt beim VfL Wolfsburg derzeit eine echte Achterbahnfahrt der Gefühle, sieht dabei aber noch fast so jung aus wie bei der WM 1990. Nur "Litti" will er nicht mehr genannt werden. An diesem Sonnabend (15.30 Uhr) erwartet er den HSV.

Hamburger Abendblatt: Herr Littbarski, wie war Ihre erste Woche als Cheftrainer?

Pierre Littbarski: Ziemlich stressig. Uns ist ja über Nacht ein Co-Trainer weggebrochen, weil der plötzlich Chefcoach wurde.

Haben Sie nach Steve McClarens Entlassung noch mal mit ihm gesprochen?

Littbarski: Ja. Ich habe ihm zunächst eine Mail geschrieben und dann haben wir telefoniert.

Was stand in der Mail?

Littbarski: Ich habe ihm geschrieben, dass er sich ein bisschen Zeit für sich nehmen und sich entspannen soll. Den Druck habe ja jetzt ich.

Dabei mussten Sie besorgt sein, ebenfalls entlassen zu werden. Stattdessen sind Sie aber befördert worden.

Littbarski: Ich war nicht besorgt, weil mir Dieter Hoeneß bereits in unserem Gespräch am Montag alle Szenarien aufgezeigt hat. Es ist völlig unerheblich, ob ich für ein Spiel, für fünf Spiele, bis zum Saisonende oder noch länger als Cheftrainer arbeite. Für manche mag das ein Problem sein, für mich ist es keins.

Stört es Sie nicht, wenn Sie in der Zeitung lesen, dass Dieter Hoeneß bereits mit möglichen Nachfolgern wie Ralf Rangnick verhandelt?

Littbarski: Nein. Ich denke gar nicht so weit. Sollte sich der Verein in Zukunft tatsächlich für einen anderen Kandidaten entscheiden, wird es für mich vielleicht wieder eine andere Aufgabe geben. Für mich geht es jetzt nur um den Augenblick.

Bis Sommer bleibt Ihr Ziel, den Klassenerhalt zu sichern. Wie erklärt man einem Diego Abstiegskampf?

Littbarski: Jeder aus der Mannschaft wird Ihnen bestätigen, dass Diego Führungsqualitäten hat. Man kann in jedem Training sehen, wie sehr er sich bemüht. Es ist ein Unterschied, ob man eine Diva ist oder ob man nur noch nicht den passenden Schlüssel für ein Schloss gefunden hat.

Er ist also keine Diva?

Littbarski: Nein. Eine Diva will vor allem auch außerhalb des Platzes eine Sonderrolle spielen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Steve McClaren hat mir mal erzählt, was sich der frühere Weltklassestürmer Dwight Yorke so alles bei Manchester United rausgenommen hat. Der war auch ziemlich umtriebig im Nachtleben unterwegs. Das ist für mich eine Diva. Diego ist dagegen hochprofessionell.

Professionell und gleichzeitig egoistisch. Wie wollen Sie ihn wieder in die Gruppe integrieren?

Littbarski: Das wird nicht schwierig. Mit den anderen Führungsspielern habe ich längst über alles gesprochen. Er ist zu 100 Prozent akzeptiert. Am Ende zählt nur seine Leistung.

Nach Ihrem Dienstantritt als Cheftrainer haben Sie die Spieler in der Kabine gefragt, ob jeder wisse, wie oft Wolfsburg schon gewonnen hat. Mindestens einer wusste es nicht. Was sagt Ihnen der Begriff Söldner?

Littbarski: Ich weiß nicht, ob man in diesem Fall von einem Söldner sprechen kann. Vielleicht ist Träumer das bessere Wort. Wenn man nicht unter den ersten elf ist, dann interessiert manchmal nicht das aktuelle Tagesgeschäft. Und ich glaube auch nicht, dass jeder Fan diese Frage auf Anhieb beantworten könnte.

Sie waren 1990 Weltmeister. Ist die Mentalität in der Kabine heute eine andere?

Littbarski: Ich halte nichts davon, immer von den guten alten Zeiten zu philosophieren. Natürlich war das damals eine andere Generation. Heute muss man viel mehr mit den Spielern sprechen. Besonders die jüngeren Spieler sind viel feinfühliger als früher. Trotzdem wehre ich mich dagegen, sofort von Söldnern zu sprechen. Es gibt Fußball-Söldner, aber nicht jeder Spieler, der nicht weiß, wie häufig die eigene Mannschaft gewonnen hat, ist ein Söldner.

Kann es sein, dass der VfL Wolfsburg in der Vergangenheit bei Neuzugängen zu sehr auf fußballerische statt auf soziale Kompetenz geachtet hat?

Littbarski: Ich bin erst sechs Monate in Wolfsburg. Aber diesen Eindruck kann ich nicht bestätigen. Gerade in Wolfsburg versuchen wir alles, Neuzugänge möglichst schnell zu integrieren, bieten Sprachkurse an und lassen den Spieler nicht alleine.

Trotzdem wollte der VfL unbedingt Schalkes Farfan verpflichten, der als Prototyp eines Fußball-Söldners gilt.

Littbarski: Wir hatten auf der rechten Seite Probleme und haben uns deswegen umgeschaut. Wir haben dann mit Farfan, aber auch anderen gesprochen.

Auf den Charakter wurde dabei aber offenbar nicht geachtet.

Littbarski: Auf der einen Seite ist natürlich die fußballerische Qualität entscheidend, auf der anderen Seite muss ein Spieler auch in die Mannschaft passen. Bei Farfan hatten wir gehofft, dass er uns weiterhelfen würde. Und ein überdurchschnittlich guter Spieler wird in jeder Mannschaft akzeptiert. Und wir hatten uns natürlich erkundigt: Mit seinen Mitspielern gab es nie Probleme. Im Gegenteil: Er ist beliebt.

Also schlägt fußballerisch die soziale Kompetenz?

Littbarski: Im Nachhinein muss man sich eingestehen, dass es nicht in Ordnung war, was Farfan bzw. seine Berater im Winter mit uns und mit Schalke gemacht haben. Wir waren uns ja eigentlich einig mit allen. Letztendlich ist es aber so, dass im Profifußball sehr gute Leistungen im Vordergrund stehen. Ich würde mich so aber nicht benehmen.

Hätte der Spieler Littbarski mit dem Trainer Littbarski Probleme bekommen?

Littbarski: Überhaupt nicht. Der einzige Trainer, mit dem ich wirklich aneinandergeraten bin, war Rinus Michels. Und im Nachhinein muss ich zugeben, dass er recht hatte.

Was wird denn nach Ihrer Beförderung aus dem Kumpeltyp?

Littbarski: Im Fußballgeschäft spielt jeder seine Rolle. Ich habe als Co-Trainer eine Rolle gespielt und muss jetzt als Cheftrainer eine andere Rolle spielen. Wenn man eine Mannschaft führen soll, muss man eine Respektsperson sein.

Stimmt es, dass Sie nicht mehr "Litti" genannt werden wollen?

Littbarski: Wenn ich Jürgen Kohler oder Thomas Häßler treffe, mit denen ich jahrelang zusammengespielt habe, werden die mich natürlich weiterhin Litti nennen. Aber den Spielern habe ich gesagt, dass ich jetzt nicht mehr der Litti bin. Ich bin jetzt der Trainer.