Der VfL Wolfsburg hat die Reißleine gezogen und seinen Trainer Steve McClaren beurlaubt. Pierre Littbarski coacht am Sonnabend gegen den HSV.

Hamburg/Wolfsburg. Es war zuletzt nur noch eine Frage der Zeit: Der abstiegsbedrohte VfL Wolfsburg hat am Montag die Reißleine gezogen und mit sofortiger Wirkung seinen Trainer Steve McClaren beurlaubt. Die Nachfolge des glücklosen 49-Jährigen übernimmt zunächst bis zum Saisonende der bisherige Co-Trainer Pierre Littbarski. Dazu erklärte Wolfsburgs Manager Dieter Hoeneß: «Wir haben sehr ausführlich mit ihm gesprochen. Er hat uns überzeugt, dass er die in unserer Situation notwendigen Maßnahmen einleiten wird.»

Ein Engländer muss gehen, ein deutscher Weltmeister übernimmt: «Litti», Mitglied der WM-Mannschaft von 1990, ist ab sofort für das Team verantwortlich und wird ab Dienstag (10 Uhr) das Training leiten. Seine erste Bewährungsprobe steht im Heimspiel am Sonnabend (15.30 Uhr/im Liveticker auf abendblatt.de) gegen den Hamburger SV an. Als große Lösung für die kommende Spielzeit gilt Ralf Rangnick, der in der Winterpause seinen Job als Chefcoach bei 1899 Hoffenheim verloren hatte.

Als Trainer wurde der Ex-Kölner Pierre Littbarski zum Weltenbummler. Nach seiner ersten Station in Japan beim Yokohama FC zog es den früheren Stürmer auch nach Australien, in den Iran und nach Liechtenstein. In Deutschland war er Assistent von Berti Vogts bei Bayer Leverkusen und Cheftrainer beim MSV Duisburg.

Der frühere englische Nationaltrainer McClaren, der noch in der vergangenen Saison in den Niederlanden Außenseiter Twente Enschede überraschend zum Titel geführt hatte, war der erste Bundesliga-Coach aus Großbritannien. Ein Experiment, das nun gescheitert ist, wohl auch an der Sprachbarriere. Vielleicht deshalb gelang es McClaren nie, aus seinem teuren Starensemble eine wirkliche Mannschaft zu formen.

«Wir waren nicht mehr der Überzeugung, dass wir in Zusammenarbeit mit Steve McClaren die Saison stabil zu Ende bringen können. Wir haben es gemeinsam bis zum letzten Tag versucht, leider ist uns nunmehr der Glaube an den Erfolg abhanden gekommen», erklärte Dieter Hoeneß. Bei nur einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsrang sei man alarmiert. «Es geht für uns jetzt allein darum, möglichst bald den Abstand zu den Abstiegsplätzen zu vergrößern», so Hoeneß.

Die Situation beim VfL Wolfsburg, vor knapp zwei Jahren noch deutscher Fußball-Meister unter Felix Magath, spitzten sich durch die anscheinend massiven Autoritätsprobleme McClarens zu und erreichte bei der Niederlage in Hannover ihren Höhepunkt.

Mittelfeldspieler Diego, als Diva bekannt, unterlief ganz bewusst eine Anordnung seines Trainers, schnappte sich den Ball und scheiterte in der 80. Minute mit seinem Foulelfmeter an der Querlatte. Der Coach hatte ausdrücklich den in der Winterpause aus Leverkusen geholten Patrick Helmes als Strafstoßschützen festgelegt.

Schon nach der peinlichen Heimniederlage im Dezember im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen den Zweitligisten Energie Cottbus (1:3) schien der Rauswurf McClarens beschlossene Sache zu sein, stattdessen rüsteten die «Wölfe» noch einmal nach und gaben dem in die Schusslinie geratenen Fußball-Lehrer eine letzte Chance.

Aber von den vermeintlichen Verstärkungen konnte sich zumindest in Hannover niemand aufdrängen. Den Gästen fehlt es weiterhin unübersehbar an Torgefahr, nachdem Topstürmer Edin Dzeko für die Bundesliga-Rekordsumme von 34 Millionen Euro kurz vor dem Jahreswechsel zu Manchester City transferiert wurde.

McClaren scheiterte auch an seiner starren taktischen Fixierung auf nur eine Sturmspitze. Hoeneß hatte in den vergangenen Wochen mehrfach versucht, dem Trainer ein anderes Spielsystem schmackhaft zu machen. Vergeblich, und so gab es schon am vergangenen Wochenende erste verbale Absetzbewegungen von Hoeneß: «Wir verlieren zu viele Spiele, die wir nicht verlieren müssten. Darüber muss man sich Gedanken machen.»

Zwar sprach auch McClaren in Hannover von einem neuen Spielsystem in seinem Kopf, doch nun ist die Uhr für ihn in Wolfsburg vorzeitig abgelaufen, die Einsicht kommt zu spät.

Der finale Auslöser: Diegos Revolte

Der Trainer tobte, schimpfte und schlug mit der Hand wütend gegen das Plexiglas der Auswechselbank. Diegos Eigensinn trieb Steve McClaren fast zum Wahnsinn. Die Meuterei stellte den Coach des VfL Wolfsburg bloß. Denn der Brasilianer schob den als Elfmeter-Schützen bestimmten Patrick Helmes einfach beiseite und schoss den Elfmeter in der 80. Minute selber - an die Latte. Der einstige Liebling der Fußballfans vergab damit nicht nur den möglichen Ausgleich beim 0:1 (0:1) im Niedersachsen-Derby der Bundesliga bei Hannover 96. Er entlarvte mit seinem Egoismus auch die Verhältnisse beim VfL. Was hat McClaren noch zu sagen? Wer hört noch auf ihn? Diego jedenfalls nicht. "Es war klar, Patrick Helmes war als Schütze vorgesehen", sagte McClaren später und kritisierte seinen Starspieler. "Es ist absolut inakzeptabel, dass sich Diego über meine Entscheidung hinweggesetzt hat. Ich bin sehr wütend."

"Der Trainer hat mir gesagt, dass ich schießen soll. Das habe ich Diego gesagt", berichtete der verwunderte Helmes über die Schlüsselszene. Doch Diego interessierte das nicht. "Ich habe Verantwortung übernommen", lautete seine eigentümliche Sicht der Dinge.

Bezeichnend ist, dass es nicht der erste Streit dieser Art war. Im Dezember hatte der inzwischen verkaufte Edin Dzeko mit Diego eine ähnliche Diskussion, ehe der Bosnier den Elfmeter gegen Werder Bremen verschoss. Der "geklaute" Elfmeter soll Diego teuer zu stehen kommen. "Jedes Fehlverhalten hat Konsequenzen", kündigte McClaren gestern an. Der englische Coach machte aber keine detaillierten Angaben zur Strafe: "Das werden wir intern regeln." Das gilt auch für die Diskussion über den Coach selber, auch wenn er am Sonntag das Training leitete. McClaren steht nach knapp sieben Monaten in Wolfsburg vor dem Aus. Es ist fraglich, ob der erste englische Trainer in der Bundesliga-Geschichte in Wolfsburg überhaupt noch einmal eine Chance bekommt, Sonnabend gegen den HSV auf der Bank zu sitzen. Er müsse nachdenken, sagte Manager Dieter Hoeneß. "Eiertanz", nannte er die Szene vor dem verschossenen Strafstoß. Man könne es auch "Kindergarten" nennen, fügte er hinzu.

Ob es nun eine Trainerdiskussion gebe? "Das lasse ich jetzt mal so stehen", sagte Hoeneß und verweigerte dem Coach kurz nach Spielschluss die Rückendeckung. "Natürlich werden wir uns Gedanken über die Situation machen. Wieso verlieren wir so ein Spiel, das wir nicht verlieren dürfen? Davon gab es diese Saison schon zu viele." Nur noch einen Zähler ist der mit Millionen-Einkäufen umgebaute Meister von 2009 von einem Relegationsplatz entfernt. "Ich werde mich nicht zu Taktik und Aufstellung äußern, das ist Sache des Trainers", sagte Hoeneß. Und tat das Gegenteil. "Wir sind durchschlagskräftiger, wenn wir mit zwei Spitzen spielen", kommentierte der Sportdirektor. McClaren aber hatte Grafite als einzigen Stürmer im 4-2-3-1-System nominiert und Helmes erst später als zweite Spitze gebracht.

(SID/abendblatt.de)