Bundestrainer Heiner Brand kommen nach dem 25:27 gegen Ungarn Zweifel an der Klasse seiner Mannschaft. Heute gegen Norwegen um Platz vier

Jönköping. Als es nicht mehr darauf ankam, entwickelte Pascal Hens plötzlich eine erstaunliche Dynamik. Behände schlängelte er sich durch den eingezäunten Kanal, der von der Spielfläche in den Kabinentrakt der Kinnarps-Arena in Jönköping führt. Mikrofone und Notizblöcke streckten sich dem Kapitän der deutschen Handballnationalmannschaft entgegen, aber Hens mochte nicht reden. Vielleicht fiel ihm auch nur nichts ein zu dem, was sich in den 60 Minuten des zweiten WM-Hauptrundenspiels gegen Ungarn zugetragen hatte. Deutschland hatte es mit 25:27 (12:10) verloren, und das Schlimme daran war nicht, dass es sich damit das letzte kleine Schlupfloch ins Halbfinale verbaut hatte. Sondern dass es damit auch eine Menge von dem Prestige verworfen hatte, das es am Sonnabend beim 27:24-Erfolg gegen Island mühsam zurückerkämpft hatte.

Irgendjemand fing Hens vor der Kabine noch ab und führte ihn in die Pressekonferenz. Dort sagte der Hamburger: "Mit so einer Fehlerquote kann man bei einer WM kein Spiel gewinnen." 38-mal hatten er und seine Mitspieler das ungarische Tor verfehlt, 22 dieser Versuche endeten bei Torwart Nandor Fazekas. Zehn technische Fehler führten zu weiteren Ballverlusten.

Neben Hens saß Heiner Brand. Der Bundestrainer sah traurig aus, trauriger noch als nach der herben Vorrundenniederlage gegen Titelverteidiger Frankreich. Sie mag er insgeheim befürchtet haben. Aber sicher nicht, dass er nun sogar um einen Startplatz in der Olympia-Qualifikation bangen muss. Selbst ein Sieg gegen Norwegen heute (16.15 Uhr/ZDF) würde seiner Mannschaft nur dann den Weg ins Spiel um den notwendigen siebten Platz ebnen, wenn Island nicht am Abend gegen die Franzosen punktet.

Er habe, erzählte Brand, das Unheil gegen Ungarn kommen sehen, als er seinen Spielern vor dem Anpfiff in die Augen geblickt habe: "Da war keine Begeisterung zu erkennen." Ohne diese Zutat aber sei seine Mannschaft nicht stark genug, um bei einer Weltmeisterschaft zu bestehen: "Wir müssen einsehen, dass wir nur unter höchstem Einsatz, mit höchstem Tempo gut spielen. Das spricht dafür, dass die anderen besser sind. Sie bringen ein Spiel auch mal nach Hause, ohne an ihre Grenzen gehen zu müssen."

Es war der Versuch einer Erklärung für das eigentlich Unerklärliche. Zweimal hintereinander, gegen Tunesien und vor allem gegen Island, war seiner Mannschaft der Grenzgang gelungen. "Vielleicht sind uns diese Spiele zu sehr an die Substanz gegangen", vermutete Brand. Die Abwehr aber, an der sich ein Defizit an Einstellung oder Kraft am ehesten ablesen lässt, hat nicht enttäuscht. Sie hatte den Positionsangriff der Ungarn unter Kontrolle, obwohl ihnen im nachnominierten Carlos Perez ein Mann gegenüberstand, über den man bei diesem Turnier bislang kein Anschauungsmaterial sammeln konnte. Torhüter Johannes Bitter sagte: "Unsere Deckungsleistung hätte reichen müssen, um dieses Spiel zu gewinnen." Für seine eigene galt das allemal: Der Hamburger wehrte 40 Prozent aller ungarischen Würfe ab.

Es sind solche besonderen Darbietungen, an denen sich normalerweise eine ganze Handballmannschaft aufrichten kann. Momente wie zwischen der 7. und 13. Minute, als aus einem 1:4-Rückstand eine 7:4-Führung der Deutschen wurde. In diesen sechs Minuten sah alles plötzlich sehr einfach aus. Man hätte einfach nur so weiterspielen müssen, sagte Dominik Klein hinterher, aber so einfach ist es eben nicht. Eine unsichtbare Last schien auf den Angreifern zu liegen, und sie schien mit jedem Fehlwurf ein bisschen schwerer zu werden. Nicht nur Bitter rätselte aus der Ferne über die Frage, "warum wir nicht mit Volldampf reingehen". Trotzdem eröffnete sich 90 Sekunden vor dem Ende noch einmal die Chance zum Ausgleich. Aber Uwe Gensheimer, der so stark in dieses Turnier gestartet war, ließ sich mitten im Gegenstoß wie ein Anfänger den Ball abjagen.

Vielleicht hatte die Mannschaft schon vor dem Anpfiff der Mut verlassen. Da hatten sie miterlebt, wie Spanien die Isländer besiegte und die eigene Halbfinalchance auf ein Allzeittief gefallen war. Gegen die Spanier, die nun wie Frankreich, Schweden und Dänemark um die Medaillen spielen, hatten die Deutschen in der Vorrunde lange dominiert und trotzdem verloren. "Man kann sich die Spieler nicht basteln, die unter dem Druck einer WM bestehen", sagte Brand. Zuversicht klingt anders.