Nach der 24:26-Niederlage gegen Spanien muss die deutsche Mannschaft bei der Handball-WM in Schweden bereits um das Halbfinale bangen.

Kristianstad. Als man sich schon fragte, wie macht der Johannes Bitter das nur, so gefasst zu sein, um seine Mitspieler aufzurichten und als Erster die Gratulationskür bei den Spaniern zu absolvieren, ausgerechnet er, an dem es doch am wenigsten gelegen hatte, als Bitter also schon die ganze Enttäuschung verarbeitet zu haben schien, brach sie doch noch einmal aus ihm heraus. Der Nationaltorhüter trat gegen die hölzerne Bande, die die WM-Handballer in der Kristianstad-Arena von den Medienvertretern trennt, hart, aber doch kontrolliert genug, um keinen Sachschaden zu riskieren. "Es ist doch wirklich jedes Jahr das Gleiche", schimpfte Bitter, "das geht mir so auf die Nerven."

Bitter hatte im dritten Vorrundenspiel gegen die Spanier eine famose Leistung abgeliefert, wahrscheinlich die beste in seiner Nationalmannschaftskarriere. Er hatte 20 Würfe gehalten, viele davon kamen unbedrängt auf sein Tor. Die Spanier schienen an dem Hamburger mit jedem Fehlversuch mehr zu verzweifeln. Aber am Ende war seine sensationelle Erfolgsquote von 43 Prozent ein Wert ohne Wert. Mit 24:26 (13:13) unterlag der Weltmeister von 2007 dem von 2005 und muss nun morgen fast schon gegen den von 2009 gewinnen, will er mit einer ernst zu nehmenden Halbfinalchance in die Hauptrunde gehen. "Gegen die Franzosen werden wir genauso wenig Favorit sein wie heute", ahnt Bundestrainer Heiner Brand.

Er hat nun einen freien Tag Zeit, seiner Mannschaft vorzuführen, dass sie alle Möglichkeiten hat, sogar gegen den multiplen Titelträger Frankreich zu bestehen: Mut, Teamgeist, eine beherzte Abwehr, überragende Torleute; dass sie aber auch alles mitbringt, um sich selbst um einen Erfolg zu berauben: Mutlosigkeit, Undiszipliniertheiten, Führungs- und Konzentrationsschwächen. Von all dem bietet das gestrige Spiel so viel Anschauungsmaterial, dass jedes weitere Videostudium im Grunde überflüssig ist.

Vor allem über die 47. Minute wird noch zu reden sein. Mit 21:18 hatte Jacob Heinl Deutschland durch einen Doppelschlag in Führung gebracht, als Spaniens Trainer Valero Rivera eine Auszeit beantragte. Mehr als sechs Minuten lang hatte seine Mannschaft kein Tor erzielt. Sein wuchtiger Rückraum drohte an Bitter und an der deutschen Abwehr zu zerbrechen, obwohl die zwei schwerwiegende Ausfälle zu verkraften hatte: Lars Kaufmann hatte in der 35. Minute die Rote Karte gesehen, weil er sich mit einem Wechselfehler die dritte Zeitstrafe eingehandelt hatte. Sechs Minuten später war ihm Sebastian Preiß aus dem gleichen Grund auf die Tribüne gefolgt. All das konnte die Deckung nicht aus der Balance werfen. Und der Angriff schien in Unterzahl sogar besser zu funktionieren als in Sollstärke.

Doch dann griff Rivera zu seinem letzten taktischen Mittel: Er stellte seine Abwehr offensiv um und beorderte Roberto Parrondo als so genannten Indianer in ihre Spitze. Zwei Wochen lang, berichtete Bitter später, habe man wenig anderes geübt, als mit diesem System klarzukommen. Es gelang trotzdem nicht. Stattdessen machte sich erst Hektik breit - Adrian Pfahl scheiterte dreimal hintereinander - und am Ende nackte Versagensangst. "Da hatte keiner den Mut mehr, mit Dampf reinzugehen", haderte Bitter. Sein HSV-Kollege Michael Kraus, den Brand als Führungsspieler gebraucht hätte, hatte sich bereits anfangs der zweiten Halbzeit durch eine Kette von Fehlern auf die Bank gespielt. Und seinen Kapitän Pascal Hens wollte der Bundestrainer in der Schlussphase nicht für den Angriff einwechseln, weil der Laufweg zur Bank zu weit gewesen wäre.

Hens musste an der Seitenlinie feststellen, "dass wir aufgehört haben zu spielen. Jeder von uns hat jetzt Szenen im Kopf, von denen er denkt: Was habe ich da bloß für einen Mist gemacht." Einige würden sicher nicht vor 4 Uhr morgens in den Schlaf finden. "Gut, dass morgen frei ist."