Heiner Brand zeigt sich bei der WM in Schweden vor Mannschaft und Medien locker aufgelegt. Auch personell überrascht der Bundestrainer.

Kristianstad. Donnerstag in Kristianstad, die erste Folge der neuen Staffel von "Charly & Heiner" beginnt. "Heiner, es ist dein 17. großes Turnier", sagt Charly Hühnergarth, der Pressesprecher der deutschen Handball-Nationalmannschaft, und merkt nicht, wie der Mann neben ihm zusammenzuckt. "Das lässt ja gewisse Rückschlüsse aufs Alter zu, ne?", wird Heiner Brand später sagen und über seinen gelungenen Scherz lachen. Man weiß ja, dass er 58 ist und die letzten 14 Jahre davon als Bundestrainer für die erfolgreichste Ära des deutschen Handballs verantwortlich. Seit einigen Jahren ist er obendrein Hauptdarsteller einer als Pressekonferenz getarnten Comedyshow, die während der WM 2007 dank der Liveübertragung im deutschen Fernsehen einem breiteren Publikum bekannt wurde.

Es soll Zeiten gegeben haben, als Brand öffentliche Auftritte nicht mehr als eine lästige Pflicht waren. Inzwischen scheint er sie zu genießen. Er spricht geschliffene Sätze in die Mikrofone, neuerdings sogar auf Englisch, nicht ohne hin und wieder einen gezielten Lacher einzustreuen. Man kann ihn als Referenten zum Thema "Teambuilding", "Zusammenführung von Individualisten" und "Lernen von Kritikfähigkeit" buchen. Aber am besten kann Heiner Brand immer noch über den Handball reden, mit dem er es als Spieler und Trainer zum Weltmeister gebracht hat. Das 17. Turnier also. Drei werden im besten Fall noch hinzukommen, die WM 2013 in Spanien, dem Land des heutigen Vorrundengegners (18.30 Uhr/ZDF), soll seine Amtszeit beschließen. Brand kann langfristig planen, es gibt niemanden, der ihn öffentlich infrage stellen würde. Kretzschmar sagt: "Solange er den Job macht, kann sich Handball-Deutschland glücklich schätzen." Das Torwartdenkmal Andreas Thiel spricht von Brand als "dem besten Trainer, den ich je hatte, was taktisches Verständnis und sein Bauchgefühl für Wechsel und Aufstellung angeht. Er hat das Spiel verinnerlicht, sich Neuerungen aber nie verschlossen."

Das Erstaunliche dabei ist, dass Brands Innovationskraft mit dem Alter offenbar zunimmt. Den Rhein-Neckar-Löwen Oliver Roggisch, jahrelang das Herzstück der Sechs-null-Abwehr, ließ er beim WM-Auftaktsieg gegen Ägypten am Freitag 60 Minuten auf der Bank sitzen. Linksaußen Torsten Jansen vom HSV, der sich um den WM-Heimsieg 2007 besonders verdient gemacht hatte, nahm er erst gar nicht mit nach Schweden. Bei keiner Personalentscheidung habe er so sehr mit sich gerungen, so ist aus Brands Umfeld zu hören. Die Woge der Entrüstung aber, die ihm aus Hamburg entgegenschlug, habe er als heuchlerisch empfunden.

Man braucht nur ein paar Hebel zu betätigen, und schon kann aus dem gewandten Weltbürger Heiner Brand wieder der oberbergische Dickschädel werden, als den er sich selbst gern bezeichnet. Eine gewisse Genugtuung wird in Brands Rede am Donnerstag mitgeschwungen haben, als er sagte: "Einige Aufschreie waren wohl etwas frühzeitig." Uwe Gensheimer und Dominik Klein, die er dem 34 Jahre alten Jansen vorgezogen hatte, seien keineswegs die Schwachpunkte seiner Abwehr. Verdiente Spieler genießen bei Brand immer noch einen Bonus, aber keinen Freifahrtschein mehr. Von seiner Nibelungentreue ist er nach Olympia 2008 abgerückt, als es seine Altstars Markus Baur und Christian Schwarzer noch mal richten sollten. Baur musste kurzfristig absagen, weil er damals Trainer in Lemgo geworden war. Und der Effekt von Schwarzers Comeback war mit dem WM-Heimsieg 2007 aufgebraucht. Deutschland schied in Peking als Weltmeister in der Vorrunde aus.

In Schweden stehen auch die Olympischen Spiele 2012 in London auf dem Spiel. Der Weltmeister bekommt einen Startplatz garantiert, die WM-Plätze zwei bis sieben berechtigen immerhin zur Teilnahme an einem Qualifikationsturnier. Wer das verpasst, muss hoffen, im nächsten Jahr in Serbien Europameister zu werden. Brand weiß, dass diese Hoffnung vermessen wäre. Er hat sich durch seine Personalentscheidungen mehr Angriffsfläche gegeben als bei früheren Turnieren. Sollte er scheitern, wird er hinterher nicht auf diesen oder jenen verletzten Spieler verweisen können. Es ist nämlich keiner verletzt. Und man wird ihm nicht die kurze Vorbereitungszeit zugutehalten, denn diesen Nachteil haben fast alle Mannschaften.

Schuld ist die Bundesliga, die erst Ende Dezember den Spielbetrieb aussetzte. Sie hat nie besonders viel Rücksicht auf Brands Bedürfnisse genommen, ob es nun um den Terminplan ging oder um eine Quote für deutsche Talente. Brand ist nicht müde geworden, sein Anliegen vorzubringen, auch wenn er erfahren musste, dass sogar seine Erfolge gegen ihn verwendet werden, weil sie für das bestehende System sprächen. "Heiner hat recht", sagt Bob Hanning, der einst Brands Assistent war und heute als Manager der Füchse Berlin die Bundesliga vertritt, "aber durch Wiederholung wird es nicht besser."

Von Brands Kampf würde nur noch der Nachfolger profitieren. Seine einstigen Vertrauensleute Baur, 39, und Schwarzer, 41, laufen sich bereits warm, der eine als Trainer des Bundesligisten Lübbecke, der andere als Jugendkoordinator des Handball-Bundes. Als dritter Kandidat gilt Brands Assistent Martin Heuberger, 46, der die DHB-Junioren zum WM-Titel führte. Egal wer: Er wird ein schweres Erbe antreten. Auch was den Unterhaltungswert betrifft.