Schwergewicht Shannon Briggs, am Sonnabend Gegner von Vitali Klitschko, über Obdachlosigkeit, sein Asthma und seinen Traumkampf.

Hamburg. Am Sonnabend (22.10 Uhr/RTL) kämpft US-Schwergewichtsboxer Shannon Briggs, 38, in der O2-World gegen WBC-Weltmeister Vitali Klitschko (39, Ukraine). Das Abendblatt traf einen gut gelaunten und wortgewandten Herausforderer.

Abendblatt:

Herr Briggs, Sie haben angekündigt, Vitali Klitschko auszuknocken. Das haben seit seinem Comeback vor zwei Jahren alle Gegner getan, gelungen ist es keinem. Warum gelingt es Ihnen?

Shannon Briggs:

Weil ich, anders als die anderen Klitschko-Gegner, keine Angst habe, wenn ich in den Ring steige. Ich habe gegen viele große Boxer gekämpft und dabei immer alles aus mir herausgeholt. Viele der Klitschko-Gegner sehen nur das schnelle Geld, und deshalb wollen sie im Ring nur überleben. Ich bin bereit zu sterben, weil es mir um den Ruhm geht. Ich war schon Weltmeister und muss nichts mehr beweisen. Mein Antrieb ist es, noch einmal den Titel zu holen.

Sie waren 2006 Weltmeister der WBO, doch nachdem Sie den Titel im Juni 2007 verloren hatten, beendeten Sie Ihre Karriere. Warum sind Sie nach 30 Monaten zurückgekommen?

Briggs:

Weil mir die Struktur des Kämpfens im Leben fehlte. Ich habe gemodelt, habe in Filmen mitgespielt und werde immer wieder als Redner gebucht, weil ich ein guter Entertainer bin. Boxen ist jedoch das, was ich am besten kann. Aber ich brauchte eine Pause, weil ich mental ausgelaugt war und nicht mehr den Hunger verspürte, den man braucht, um erfolgreich zu sein. Ich brauchte die Pause mehr mental als körperlich, anders als Vitali, der ja mehr als vier Jahre pausierte, weil er verletzt war. Ich bewundere Jungs wie die Klitschkos, die immer fokussiert sind auf das Boxen. Ehrlich, ich bin sogar ein echter Fan von ihnen. Trotzdem werde ich sie besiegen, weil der Hunger jetzt zurück ist.

Ende 2009 war der Hunger groß genug für ein Comeback. Wie haben Sie gespürt, dass Sie bereit waren?

Briggs:

Ehrlich gesagt, waren es mein Trainer Herman Caicedo und mein Promoter Greg Cohen, die mir den Weg zurück gewiesen haben, und Vitali.

Vitali Klitschko?

Briggs:

Ja, ich habe ihn vor ein paar Jahren in Los Angeles in einem Restaurant am Sunset Boulevard getroffen. Ich hatte nach meinem Rücktritt unheimlich zugenommen, und Vitali hat über meinen dicken Bauch gestreichelt und gesagt, ich müsse mal wieder trainieren. Da dachte ich: Er hat recht.

Und dann sind Sie ins Gym gegangen?

Briggs:

Den letzten Anstoß gab mein Trainer. Ich hatte mich vor ihm versteckt, weil ich nicht wollte, dass er mich in meinem fetten Zustand sieht. Ich hatte 340 Pfund auf den Rippen. McDonald's war mein Sponsor, nur dass ich selbst bezahlt habe. Eines Tages kam mein Trainer jedoch zu Besuch, und als er mich sah, sagte er: "Du stirbst, wenn du so weitermachst." Von da an hat er mich bequatscht, bis ich zu meinem Promoter gegangen bin und gefragt habe, ob er mit mir ein Comeback starten würde. Zum Kampf werde ich bei 255 Pfund sein.

Ihnen wurde des Öfteren vorgeworfen, Probleme mit der Kondition zu haben. Woran liegt das?

Briggs:

Das stimmt, mit 28 habe ich zweimal in der Woche trainiert, weil ich mich immer auf meinen harten Punch verlassen habe. Konditionstraining liegt mir nicht so gut. Aber das hat einen ganz anderen Grund. Ich bin als Frühchen zur Welt gekommen, habe nur zwei Pfund gewogen. Seit meiner Geburt habe ich Asthma. Meine Lunge hat nur 50 Prozent Funktionsfähigkeit. Als Kind habe ich die Winter entweder krank im Bett verbracht oder gleich im Krankenhaus. Das war die Hölle. Stellen Sie sich vor, Sie müssten vor jedem Lauf Angst haben, an einem Asthmaanfall zu sterben. So ging es mir damals.

Wie haben Sie es geschafft, mit Asthma Boxprofi zu werden?

Briggs:

Durch die Hilfe von Medikamenten und durch meine Willensstärke. Im Kampf gegen Sergej Liachowitsch, als ich mir den WBO-Gürtel geholt habe, hatte ich in der ersten Runde einen Anfall. Meine Lunge brannte, als wenn ich das schärfste Chili der Welt gegessen hätte. Ich habe mich durchgebissen und ihn kurz vor Kampfende ausgeknockt. Ich war der erste Boxweltmeister mit Asthma, und trotzdem hieß es immer nur: Der hat Konditionsprobleme. Das hat mich lange getroffen.

Bei Ihrem Comeback wurden Sie positiv auf Clenbuterol getestet. Hatte das mit Ihrem Asthma zu tun?

Briggs:

Richtig, Clenbuterol ist ein gutes Mittel gegen Asthma. Ich hatte es in Mexiko gekauft und wusste nicht, dass die Einnahme illegal ist. Der Kampf, den ich gewonnen hatte, wurde nicht gewertet, ich wurde für 60 Tage gesperrt. Jetzt weiß ich es besser.

Und was nehmen Sie jetzt?

Briggs:

Ich arbeite mit einem Asthmaspezialisten zusammen, der eigens für mich ein homöopathisches Medikament entwickelt hat, das ich einnehme. Es ist noch nicht im Markt erhältlich. Es wirkt Wunder bei mir. Ich habe heute keine Probleme mehr und fühle mich so, als könnte ich einen Marathon laufen.

Ist die Angst vor einem Anfall nicht das größere Problem als der Anfall selbst?

Briggs:

Absolut, Asthma ist mental oft viel fordernder als physisch. Jeden Tag sterben in den USA fünf Menschen an Asthmaanfällen, aber es gibt bis zu 30 000 Notfälle täglich, die auf Asthma zurückzuführen sind. Jeder kennt wohl das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Aber die Angst davor, dass es passiert, hindert viele Asthmapatienten daran, einen normalen Alltag zu leben. Mein Traum ist es, als Sprecher für eine Stiftung tätig zu sein, die Asthmakranken hilft, und ihnen Mut macht, ein normales Leben zu führen. Ich bin doch das beste Beispiel: Ich bin Profiboxer, ich habe es geschafft - trotz Asthma.

Woher haben Sie die Kraft genommen, sich der Angst zu widersetzen?

Briggs:

Ich hatte einen starken Antrieb, weil ich ein besseres Leben wollte. Meinen Vater habe ich kaum gesehen, er war ständig im Knast, wo er auch starb. Meine Mutter und ich lebten lange auf der Straße. Wir schliefen in Autos oder in Obdachlosenheimen. Sie wurde drogenabhängig und starb an meinem 19. Geburtstag. Ich habe dann mit dem Boxen begonnen, ich wollte raus aus diesem Teufelskreis, und das Boxen hat es mir ermöglicht. Da konnte ich mich von Asthma nicht aufhalten lassen.

Sie hatten lange den Ruf des Lebemanns, der sein verdientes Geld genauso schnell wieder ausgegeben hat. Haben Sie das mittlerweile im Griff?

Briggs:

Ich denke schon, ich bin reifer geworden. Ich habe Familie, trage Verantwortung für andere Menschen. Als ich meine erste Million auf dem Konto hatte, war das für mich nicht greifbar. Ich dachte, mir gehört die Welt, habe Partys gemacht und wie ein Wilder gelebt. Aber ich denke, das muss man bei meiner Lebensgeschichte verstehen.

Sie haben selbst zwei Söhne. Was versuchen Sie denen zu vermitteln?

Briggs:

Ich versuche, ihnen eine tolle Kindheit zu bieten, ohne sie großartig einzuschränken. Sie sollen sich frei entwickeln. Mein Großer ist 13, er spielt Basketball, sieht aus wie seine Mutter und ist total auf sie fixiert. Mein Kleiner aber, vier Jahre alt, der ist genau wie ich. Er ist mit meinem Charakter auf die Welt gekommen, will immer kämpfen. Er besiegt sogar seinen Bruder.

Für Boxer-Nachwuchs ist also gesorgt?

Briggs:

Ich hoffe nicht! Ich wünsche mir nicht, dass meine Söhne Boxer werden. Sie sollen mit einem ordentlichen Beruf Geld verdienen.

Sollten Sie verlieren, werden Sie dann Ihre Karriere endgültig beenden?

Briggs:

Ich werde nicht verlieren. Alles, was seit meinem Comeback geschehen ist, haben wir geplant. Ich mache noch vier Kämpfe. Erst knocke ich Vitali aus, danach seinen Bruder Wladimir. Dann David Haye, der den vierten WM-Titel hat. Und wenn ich alle vier Titel habe, fordere ich George Foreman zum Rematch. Wenn er ablehnt, frage ich Lennox. Und wenn der nicht will, frage ich Mike Tyson. Der ist ein paar Straßen von mir entfernt in Brooklyn aufgewachsen. Das wäre ein Traumkampf.