Da der Weltverband den Ferrari-Verstoß nur mild bestrafte, wird die Formel-1-Konkurrenz wohl nachziehen

Monza/Berlin. Bei Ferrari setzten sie gestern die Arbeit fort, als wäre nichts geschehen. Firmenpräsident Luca Di Montezemolo motivierte seine Piloten am Telefon, die Ingenieure der Formel-1-Abteilung bastelten emsig an der Aerodynamik-Konfiguration der roten Boliden. Schließlich soll der erste Heimsieg seit 2006 beim WM-Lauf in Monza am Sonntag Fernando Alonsos Chancen auf den WM-Titel erhalten. "Eine tückische Phase", findet der Spanier, "wenn wir in Monza nicht genug Punkte holen, wird es schwierig."

Dass Alonso, bei sechs noch ausstehenden Rennen mit 41 Punkten hinter Lewis Hamilton (McLaren) derzeit WM-Fünfter, überhaupt noch hoffen darf, verdankt er der Entscheidung des Weltverbandes Fia, es trotz verbotener Teamorder beim Sieg in Hockenheim bei 100 000 Dollar (78 500 Euro) Strafe zu belassen. Nur die Verhandlungskosten bekam die Scuderia am Mittwoch noch aufgebrummt.

Punktabzug, Sperre oder gar Ausschluss wären möglich gewesen, doch damit hatte nicht wirklich jemand gerechnet. Warum sollte dem Titelkampf die Spannung geraubt werden? Zudem weiß ohnehin jeder, dass Stallorder zur Formel 1 gehört wie Motorenöl. "Nicht nur bei Ferrari gibt es Teamorder, sondern bei allen Teams", hatte unlängst Nelson Piquet jr. erklärt, der 2008 in Singapur auf Anweisung des Teams sogar absichtlich in die Leitplanken gefahren war, um dem Kollegen zum Sieg zu verhelfen.

"Bevor wir jemanden schuldig sprechen können, müssen wir ihm beweisen, dass er schuldig ist", erklärte Fia-Präsident Jean Todt zum Urteil, "alle Seiten haben aber bestritten, dass es Teamorder war." Abschreckender als Probleme bei der Beweisführung (trotz entlarvender Funksprüche) dürfte die Aussicht gewesen sein, den Weltmeister nach Berufung und Zivilprozess erst 2011 küren zu können.

Zudem war der Franzose Todt einst selbst Teamchef bei Ferrari und hatte 2002 eine Stallorder zugunsten von Michael Schumacher ("Wir sollten nur Dinge regulieren, die auch kontrolliert werden können") durchgesetzt. Neben einer Strafe über eine Million Dollar hatte dies damals zur Folge, dass die Fia das Teamorderverbot erst explizit in den Regeln festschrieb. Gestern kündigte sie nun an, diese Regel neu zu überdenken. "Das ist ein sehr wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz. Es ist wichtig, zu 100 Prozent transparent zu sein", erklärte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. "Das Publikum muss wissen, woran es ist, sonst verliert die Formel 1 Glaubwürdigkeit", mahnte auch Exweltmeister Niki Lauda schnelle Klarstellung an. Was im Umkehrschluss nichts anderes bedeutet, als dass den Zuschauern bislang Schmierenkomödien aufgetischt wurden, da die Regel nicht zu kontrollieren war.

"Die Heuchelei hat ein Ende", titelte denn auch "Tuttosport". Und "Gazzetta dello Sport" freute sich: "Die Stallorder wird genehmigt."

In England wird die Abkehr von Regeln, Rechtsprechung und Strafrecht kritischer gesehen. "Die Formel 1 hat ihr Regelwerk in drei Stunden zerrissen, indem sie Ferraris Manipulation entschuldigt hat. Es gibt den Gesetzgeber des Sports dem Hohn preis", hieß es in der "Daily Mail". Der ehemalige Teamchef Eddie Jordan wirft der Fia vor, die Folgen nicht bedacht zu haben für den Fall, dass Alonso nun Champion wird. "Das würde bedeuten, dass sich Verbrechen auszahlt", warnte Jordan.

Folgen hat das Urteil auch für Sebastian Vettel. Der Deutsche, der bei einer Disqualifikation Alonsos zehn Punkte hätte gutmachen können und nun aber weiter 31 Punkte hinter dem WM-Führenden Hamilton und 28 Punkte hinter Teamkollege Mark Webber rangiert, darf sich keine Fehler mehr erlauben. Sein Team wird Stallorder nun wohl auch offensiver praktizieren. "Nach Monza werden wir uns zusammensetzen und die WM-Chancen bewerten", kündigte Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko an.