Der 20 Jahre alte Franzose Christophe Lemaitre gewinnt bei der Leichtathletik-EM die 100 Meter. Halbfinal-Aus für deutsche Sprinter.

Barcelona. Der Franzose Christophe Lemaitre hat seinen Aufstieg in die Weltelite des Sprints mit dem EM-Titelgewinn gekrönt. Mit großer Nervenstärke gab der 20-Jährige bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in 10,11 Sekunden den schnellen Rivalen das Nachsehen. Sein britischer Konkurrent Dwain Chambers erlebte in Barcelona eine herbe Enttäuschung und wurde in einem Fotofinish-Entscheid in 10,18 Sekunden nur Fünfter. Die zeitgleichen Mark Lewis-Francis (Großbritannien) und Martial Mbandjock (Frankreich) holten Silber und Bronze. "Das war ein super Rennen. Es ist nicht so gelaufen, wie ich für mich gehofft hatte. Das nehme ich mit einem Lächeln hin", gab sich der umstrittene Chambers als fairer Verlierer. "Christophe war stark und hat verdient gewonnen."

Für die deutschen Sprinter Tobias Unger (München/10,53 Sekunden), Alexander Kosenkow (Wattenscheid/ 10,38) und Christian Blum (Chemnitz/10,69) war zuvor im Halbfinale Endstation. "Der Wind hat ein bisschen blöd reingeblasen, ich bin dann aus dem Rhythmus gekommen. Das muss man abhaken", sagte Unger, der 2004 Olympiasiebter über 200 Meter wurde.

Selten war die Spannung vor einem 100-Meter-Finale bei einer EM derart groß gewesen, wie vor dem britisch-französischen Aufeinandertreffen. Beide Sprinter hatten zuvor die Zehn-Sekunden-Marke unterboten. Lemaitre lief 9,98 Sekunden bei den nationalen Meisterschaften, blieb als erster weißer Läufer in der Geschichte unter zehn Sekunden - und wurde zum Liebling der Grande Nation. Chambers hatte bei der Team-EM im Juni in 9,99 Sekunden gesiegt und dabei Lemaitre geschlagen. Der 32-jährige Brite gehört dagegen nach seiner zweijährigen Dopingsperre nicht zu den Sympathieträgern des Sprints. Im Oktober 2003 wurde er als Kunde des illegalen amerikanischen Doping-Labors Balco entlarvt, wo er die Designerdroge THG zur Beschleunigung kaufte, und von Wettkämpfen verbannt. Der EM-Titel von 2002 und weitere Medaillen wurden ihm aberkannt.

Das droht dem schlaksig wirkenden Lemaitre wohl nicht. "Ich bin sauber. Der Titel ist das Verdienst harter Arbeit", sagte der Elektrotechnikstudent aus Aix-les-Bains. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich so klar gewinnen werde. Die Zeit war unwichtig. Wir hatten zudem leichten Gegenwind."

Verena Sailer hat den Männersprint im Fernsehen gesehen. Ihr großer Auftritt soll heute folgen. Wer mit ihr über ihre Anfänge als Leistungssportlerin spricht, den führt sie ins Jahr 2005. Ein 100-Meter-Rennen mit Weltklasseläuferinnen wurde am 4. September beim Internationalen Stadionfest Istaf im Berliner Olympiastadion gestartet. Aber nur einen kurzen Blick konnte die damals 19-Jährige riskieren, schließlich hatte sie als Praktikantin im Organisationsbüro wichtige Aufgaben zu erledigen und war nicht zum Spaß da. Bewundernd sah Nachwuchssprinterin Sailer zu, wie die Französin Christine Arron beim Golden-League-Meeting in 11,01 Sekunden gewann.

Fast fünf Jahre später kauerte Verena Sailer gestern Vormittag bei der EM in Barcelona im dritten Vorlauf über 100 Meter auf Bahn vier in ihrem Startblock, einen Meter daneben auf Bahn fünf Christine Arron. Locker gewann die blonde Deutsche , inzwischen 24 Jahre alt, in 11,27 Sekunden. Arron, mittlerweile rüstige 36, blieb in 11,45 Sekunden weit dahinter. So ändern sich die Zeiten. "Es ist einfach toll, gegen jemanden wie Christine laufen zu können, die so Großes geschafft hat", schwärmte Sailer nach ihrem Lauf. Mehrere Medaillen hat Arron bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen über 100 Meter, 200 Meter und mit der 4x100-Meter-Staffel gewonnen. Während ihr Stern sinkt, ist Verena Sailer inzwischen zumindest in der europäischen Spitze angekommen.

Dass sie bei 1,5 Meter Gegenwind pro Sekunde als Schnellste der 32 Sprinterinnen ins Ziel kam, wollte sie mit Blick auf das Halbfinale (20.20 Uhr) und den Endlauf (21.45 Uhr) heute Abend aber nicht überbewerten: "Alle werden noch schneller laufen." Auch die Sportmanagementstudentin Verena Sailer. Eine Medaille im Einzel scheint möglich, mit der Staffel sowieso.

Die Konkurrenz hat inzwischen Respekt vor der kleinen Deutschen, die nur 1,66 Meter misst. Bei der WM 2009 in Berlin hat sie Zeichen gesetzt. Als Schlussläuferin holte Sailer mit der deutschen Staffel Bronze. Und über 100 Meter war sie als Elfte schnellste Europäerin - und schnellste Weiße. "Das ging mir schon runter wie Butter."