Der Reinbeker steht heute am Rothenbaum im Achtelfinale und ist der neue Liebling des Hamburger Publikums

Hamburg. Dass Julian Reister in seiner noch jungen Karriere nicht allzu viel Erfahrung mit großen Jubelgesten gesammelt hat, war gestern auf dem Centre-Court am Rothenbaum zu beobachten. Als der 24 Jahre alte Reinbeker seinen zweiten Matchball verwandelt hatte und damit durch ein 7:6 (7:4), 6:4 gegen den Rumänen Victor Hanescu ins Achtelfinale der German Open eingezogen war, da wirkte er für einen Moment orientierungslos wie einer, der sein Auto auf einem Großparkplatz abgestellt hat und es nicht wiederfindet. Reister riss die Arme hoch, schlug dann die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf, um im nächsten Moment ins Publikum zu winken. An das, was er in jenen Sekunden gedacht hatte, konnte er sich eine Stunde nach dem Match nicht mehr erinnern. "Ich weiß nur, dass ich mich gefreut habe, dass es am Ende so schnell vorbeiging, denn damit hatte ich nicht gerechnet", sagte er.

Klar ist nach drei Turniertagen, dass das Hamburger Publikum einen neuen Liebling gewonnen hat. Die 6500 Zuschauer feuerten ihren Lokalmatador, der seinen Wohnsitz in Kürze nach Hamburg verlegen will, mit Sprechchören an, sie feierten seinen Triumph mit La Ola, und sie waren es, die dem körperlich am Limit spielenden Weltranglisten-121. die Kräfte verliehen, die er benötigte, um seinen 78 Plätze höher notierten Gegner in die Knie zu zwingen. "Wie das Publikum mitgegangen ist, das war sensationell. Von so etwas habe ich geträumt", sagte Reister.

Schon nach dem Einspielen, so schilderte der 188 Zentimeter lange Rechtshänder die erlittenen Qualen, habe er sich platt gefühlt. Folgen einer Magen-Darm-Erkrankung, die er vor Turnierbeginn durchgestanden hatte. Die Hitze, auf dem Platz herrschten zeitweilig Temperaturen von mehr als 40 Grad, habe dann ihr Übriges getan. "Ich konnte mich am Ende kaum noch bewegen. Deshalb wollte ich unbedingt in zwei Sätzen gewinnen", sagte er.

Seine Müdigkeit ließ sich der St.-Pauli-Fan allerdings äußerlich nicht anmerken. Immer wieder attackierte er den Rumänen mit peitschenden Schlägen von der Grundlinie, zudem half ihm sein starker Aufschlag über die Runden. Auch in kritischen Situationen verlor er nicht die Nerven, er blieb gelassen, selbst als er im zweiten Satz ein mögliches Break verschenkte, weil er einen Ballwechsel einfach in dem Glauben abbrach, sein Gegner würde den Return nicht ins Feld bringen. Mangelnde Erfahrung kompensierte er mit umso mehr Leidenschaft.

"Es war wirklich ein sehr gutes Match. Manchmal bin ich selbst überrascht darüber, wie gut ich spiele. Für solche Siege habe ich hart gearbeitet. Erneut einen Top-50-Spieler geschlagen zu haben gibt mir sehr viel Selbstvertrauen", sagte Reister, der bei den French Open in Paris erstmals für Aufsehen gesorgt hatte, als er die dritte Runde erreichte und dort an seinem Idol Roger Federer scheiterte.

Nach der Partie saß Reister, der nach dem Realschulabschluss voll auf die Profikarriere gesetzt hatte und seit 2005 auf der Tour aktiv ist, für eine halbe Stunde regungslos in seiner Kabine und versuchte zu Kräften zu kommen - immer in dem Wissen, am Abend noch mit seinem Trainingskumpel Tobias Kamke aus Lübeck im Doppel antreten zu müssen. "Ich habe sehr viel getrunken, ein paar eklige Salze zu mir genommen, um wieder fit zu werden, denn das bin ich Tobi schuldig", sagte er. Die beiden unterlagen schließlich gegen Wesley Moodie (Südafrika) und Dick Norman (Belgien) mit 6:7 und 4:6.

Wie weit ihn sein Weg am Rothenbaum, wo er nur dank einer Wildcard ins Hauptfeld gerutscht war, noch führen wird, ist nach der Tortur von gestern ungewiss. Im Achtelfinale muss er heute gegen den Usbeken Denis Istomin antreten. Der 23 Jahre alte Weltranglisten-59. hatte sich überraschend gegen den spanischen Mitfavoriten Nicolas Almagro (Nummer 18 der Welt und in Hamburg an Position fünf gesetzt) mit 7:6 (7:5) und 7:6 (9:7) durchgesetzt. "Ich war schon überrascht, dass Istomin gewonnen hat. Ich traue mir gegen ihn eher einen Sieg zu als gegen Almagro, allerdings zeigt sein Sieg, dass er ein starker Spieler ist", sagte er.

Als Julian Reister vor Turnierstart gefragt wurde, welche Ziele er sich stecke, sagte er selbstbewusst: "Ich möchte das Viertelfinale erreichen!" Daran geglaubt hat er selbst nicht so richtig, wie er gestern zugab. "Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich es ins Achtelfinale schaffe, hätte ich sofort eingeschlagen." Eingeschlagen hat er, auf andere Art - und am Rothenbaum hoffen nun alle, dass seine wunderbare Reise um ein paar Etappen verlängert wird. Die Routine im Jubeln kommt dann von selbst.