Löws Zauberlehrlinge träumen nach dem historischen 4:1 gegen England vom Wunder von Südafrika. Ballack tippt auf ein 3:2 gegen Argentinien.

Bloemfontein/Pretoria. Eine ganze Nation im Fußball-Fieber vereint, die Weltpresse verzückt und Diego Maradona Respekt abgenötigt: Nach der Demonstration der Stärke beim 4:1 (2:1) im Achtelfinale gegen den WM-Mitfavoriten England reifen bei Joachim Löws Zauberlehrlingen die Träume vom Wunder von Südafrika. „Wir müssen auch noch die anderen Spiele gewinnen, wir sind ja hier, um Weltmeister zu werden“, sagte der zweifache Torschütze Thomas Müller. Der Münchner Shootingstar verdeutlichte mit dem Selbstbewusstsein eines Siegertypen, dass der Weg am Kap auch nach dem Viertelfinale gegen die starken Argentinier am Sonnabend in Kapstadt (16.00 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) für die deutsche Nationalmannschaft noch nicht beendet ist.

Die Gauchos, die für die Viertelfinalniederlage bei der WM 2006 gegen den damaligen Gastgeber (2:4 im Elfmeterschießen) auf Rache sinnen, zeigten sich ihrerseits beeindruckt vom neuen deutschen Jugendstil. „Deutschland ist eine ganz andere Mannschaft als Mexiko, viel stärker“, urteilte der argentinische Nationalcoach Maradona, der 1986 in Mexiko sein Land zum 3:2-Finalsieg gegen die DFB-Auswahl geführt hatte und 1990 gegen Deutschland in Rom im Endspiel 0:1 verlor. Dass der zweimalige Weltmeister um Superstar Lionel Messi beim nächsten Klassiker in der Favoritenrolle ist, flößt den deutschen Spielern aber keine Furcht ein.

„Argentinien ist eine Weltklassemannschaft, aber wir haben gezeigt, dass wir uns vor keinem verstecken müssen“, sagte Arne Friedrich und Sami Khedira äußerte: „Wir können auch Argentinien schlagen, wenn wir wieder so stark als Kollektiv auftreten.“ Der erfahrenen Miroslav Klose, 2002 in Südkorea und Japan Vize-Weltmeister, ergänzte: „Argentinien ist vielleicht auf dem Papier besser, aber das war bei England genauso. Entscheidend ist aber auf dem Platz, und da sind wir eine Einheit.“

In der Heimat wächst der Glaube an Müller und Co. „Die deutsche Mannschaft spielt einen ausgezeichneten Fußball, alles ist im Fluss, jeder bewegt sich. Wenn wir gegen Argentinien genauso konsequent spielen, haben wir eine Chance. Deshalb tippe ich auf ein 2:1“, sagte Franz Beckenbauer. Der verletzte Kapitän Michael Ballack sagte: „Die Mannschaft hat ein gutes Momentum. Ich tippe auf 3:2.“ Bei Schnitzel und dem ein oder anderen Glas Wein oder Bier hatte sich das deutsche Team, das vom Johannesburger The Star als „teutonischer Überschall“ betitelt wurde, gleich nach seiner Rückkehr am Sonntagabend in seinem WM-Quartier Velomore Grande auf das Viertelfinale eingestimmt.

Nachdem das Personal die Helden von Bloemfontein mit Feuertonnen als Symbol des Glücks und riesigen Bildschirmen im Freien, auf denen die Tore von Thomas Müller (67., 70.), Lukas Podolski (32.) und Miroslav Klose (20.) immer und immer wieder gezeigt wurden, empfangen hatte, feierten Philipp Lahm und Co. aber nur kurz, ehe sie gegen Mitternacht todmüde ins Bett fielen. In Deutschland ging zu dieser Zeit die Party noch weiter, nachdem alleine 25,57 Millionen Zuschauer das Spiel vor dem heimischen TV-Gerät und noch ein paar Millionen beim Public Viewing verfolgt hatten. „Die Leute haben genügend Grund zu feiern, sie identifizieren sich mit dieser jungen Mannschaft, die aber immer noch in der Entwicklung steckt“, sagte Kapitän Philipp Lahm und machte ganz Deutschland für das Viertelfinale Mut: „Wir wissen, dass wir noch eine Menge erreichen können.“

Während seine Spieler den Augenblick genossen, dämpfte Löw trotz der „grandiose Leistung“ die Euphorie. „Wir sind sicherlich nicht in der Favoritenrolle. Wir müssen nun wieder ganz hart arbeiten, denn die nächsten Gegner werden ja noch schwieriger“, sagte der Bundestrainer. Eine vorzeitige Vertragsverlängerung war für den 50-Jährigen aber trotz der Triumphes, der an das legendäre 3:1 der deutschen Elf im EM-Viertelfinale 1972 in Wembley mit Franz Beckenbauer, Günter Netzer und Gerd Müller erinnerte, aber nach wie vor kein Thema. Stattdessen genoss der Bundestrainer, der seinen Spielern von Montagnachmittag bis zum Zapfenstreich am Dienstagabend (23.00 Uhr) freigab, zu Wochenbeginn die Schlagzeilen von der Insel. „Deutschland zerstört Englands Abwehr mit brillanter Technik. Das ist die schwerste englische Niederlage bei einer Weltmeisterschaft seit 1954“, schrieb der Guardian.

Die Boulevardzeitung The Sun titelte: „Die Deutschen beherrschten das englische Team vollkommen. Es war ein Spiel von Männern gegen Jungs - und die Jungs haben gewonnen.“ Und die Times kommentierte: „Eine Niederlage hätten wir hingenommen, aber England krachte aus der WM, weil es von einem geschmeidigeren, schnelleren, clevereren Deutschland an die Wand gespielt wurde.“ „England wurde von den Deutschen zermahlen“, schrieb der Daily Mirror und benutzte dabei wie viele andere Blätter auch in Anspielung an den Doppeltorschützen Thomas Müller ein Wortspiel. Denn das englische Wort für zermahlen heißt „mullered“, was auch der Evening Standard herausstellte: „Beschämendes England von Deutschland 'mullered'“.

Aber nicht nur die gedemütigten Three Lions bekamen ihr Fett nach ihrer höchsten WM-Pleite weg. „Franks for Nothing“ schrieb die Sun angesichts des nichtgegebenen Treffer von Frank Lampard nach einem Neuer-Blackout. Schiedsrichter Jorge Larrionda aus Uruguay hatte in Abstimmung mit seinem Assistenten Mauricio Espinosa das Tor zum vermeintlichen 2:2 nicht gegeben, obwohl der Ball deutlich hinter der Linie war. „Das war ein klarer Treffer“, sagte Löw und Neuer lobte in Anspielung auf 1966 seine eigene Schlitzohrigkeit: „Wembley-Tor? Ich habe mich nur auf den Ball konzentriert, ihn mir schnell geschnappt und ins Spiel gebracht. Wenn ich nach rechts und nach links geguckt hätte, hätte der Schiedsrichter es sich vielleicht noch mal überlegt. Vielleicht habe ich ein bisschen dazu beigetragen, dass er nicht gepfiffen hat.“