Der Reinbeker Tennisprofi Julian Reister spielt beim Tennis-Turnier in Wimbledon heute in Runde zwei gegen den Belgier Xavier Malisse.

London. Am Dienstagabend war der Mann aus dem hohen deutschen Norden auf einmal auch in der Kultsendung "Today at Wimbledon" das Gesprächsthema. Jener Julian Reister, der als neues, erfrischendes Gesicht des deutschen Tennis für Furore sorgt, der sich jüngst bravourös bei den French Open zu einem Drittrundenduell gegen Roger Federer durchschlug. Als die tägliche TV-Show aus dem Herzen des Grand-Slam-Reichs sich also dem Ende zuneigte, präsentierte Moderator John Inverness schnell noch den "Schlag des Tages" und lächelte süffisant hinüber zu seinem Plaudergast Boris Becker: "Er kommt von einem Deutschen, mal wieder." Gemeint war ein Trickschuss Reisters, der im Zurücklaufen den Ball mit voller Wucht durch die Beine ins gegnerische Feld platzierte, mit unglaublicher Präzision und Geschwindigkeit vorbei am Südafrikaner Rik de Voest. "Volltreffer", bemerkte da auch Altmeister Becker und schickte gleich noch ein Lob hinterher an Erstrundensieger Reister: "Der Junge macht mir Spaß. Der kann noch was erreichen."

Reister, 24, wie so viele Deutsche im Tennisbetrieb eher ein Spätzünder, kommt inzwischen gewaltig auf Touren: Auch beim zweiten Grand-Slam-Turnier binnen sechs Wochen macht der sympathische Sportsfreund den Fans und auch Bundestrainer Patrik Kühnen nur Freude. "Julian ist jetzt dran, den Durchbruch zu schaffen", sagt der Daviscup-Teamchef, "er hat das Potenzial, bald an die Top 50 der Weltrangliste heranzurücken." Ganz nebenbei: Reisters Lübecker Kumpel Tobias Kamke verstärkt das Hoch aus dem Norden noch mit einem Parallelaufschwung: Schon bevor Reister sich in der Dämmerung zum Sieg gegen de Voest und einer Zweitrundenpartie gegen den Belgier Xavier Malisse durchschlug, hatte Kamke eine sensationelle Aufholjagd nach 0:2-Satzrückstand gegen den Spanier Guillermo Garcia-Lopez mit dem 5:7, 2:6, 7:5, 6:4, 6:4 gekrönt.

Ein bisschen Glück muss der Mensch haben, verdientes Glück. So wie Reister, der in der letzten Qualifikationsrunde letzte Woche ausgeschieden war, dann aber als "Lucky Loser" wegen eines Startverzichts eines Kollegen doch noch ins Hauptfeld gerutscht war. Dort könnte ihm nun durchaus ein ähnlicher Coup wie in Paris gelingen, wo er zum Rendezvous mit Maestro Federer vorstieß. Ein Erlebnis, von dem Reister auch jetzt noch schwärmt: "Es war schon unglaublich, gegen einen Spieler auf den Court zu gehen, der einfach der Beste aller Zeiten ist", sagt Reister, der beim 4:6, 0:6, 4:6 eine mehr als ordentliche Figur machte gegen den 16-maligen Grand-Slam-Champion.

Einmal waren sie sich zuvor auch schon begegnet, der Basler und das Nordlicht, 2008 am Hamburger Rothenbaum. Federer brauchte einen Sparringspartner zum Einschlagen, Reister erhielt einen Anruf, und dann haute man sich eine halbe Stunde lang die Bälle zu. Federer entspannt und cool, in langen Hosen. Reister fiebrig nervös, bemüht, bloß keine schlechte Figur abzugeben. Federer ist sein großes Vorbild, als Sportler, aber auch als Mensch: "Er ist keiner, der sich wichtig nimmt, weil er ein so guter Tennisspieler ist. Er ist immer freundlich." Auch Reister grüßt der Schweizer stets mit einem "Hallo" in der Spielerlounge.

Reister ist die größte deutsche Überraschung dieses Tennis-Frühlings, ein Spieler, der schlagartig erkannt hat, welches Potenzial in ihm steckt und dass er mit seinen 24 Jahren keineswegs zu spät dran ist, um noch etwas Großes bewegen zu können. "Manchmal habe ich unfassbar gut gespielt in den letzten Wochen", sagt Reister, "mit dieser Qualität kann ich viele in Schwierigkeiten bringen."

Reister setzte nach der Realschule voll auf die Karte Profitennis, schaffte aber lange nicht die Grenzüberschreitung ins Terrain der Weltklassespieler. "Man muss Geduld haben. Die Spieler, die mit 17 oder 20 Jahren ganz nach vorne stürmen, sind eine Ausnahme", sagt Reister.

Mit seinen Engagements vorwiegend bei Challenger- oder Satellite-Wettbewerben und den Bundesliga-Auftritten für Blau-Weiss Neuss kommt Reister finanziell "ganz gut über die Runden", ein Luxusleben sei das nicht: "Das brauche ich auch nicht. Ich bin glücklich, weil ich das machen kann, was ich liebe." Zum Glück werde er vom schleswig-holsteinischen Verband unterstützt, der auch die Trainer Herby Horst und Ralf Grambow abstelle.

Sollte er auch in Wimbledon noch ein bisschen länger im Turnier bleiben, wäre noch eine weitere Selbstbelohnung fällig, nach dem neuen I-Phone, das er sich von den 43 000 Euro leistete, die er in Paris als Prämie erhalten hatte. "Ich überlege noch, was auf dem Wunschzettel steht", sagt er.