Wladimir Klitschko feiert gegen Jean-Marc Mormeck seinen 50. K.-o.-Sieg. Der unterlegene Franzose suchte die Schuld auch beim Ringrichter.

Düsseldorf. Dass Profiboxen durchaus Schäden im Erinnerungsvermögen verursachen kann, davon konnten sich in der Nacht zu Sonntag im hoffnungslos überfüllten Presseraum der Esprit-Arena die anwesenden Medienvertreter ein erschütterndes Bild machen. Da saß Jean-Marc Mormeck, 39, auf dem Podium und versuchte, die vorangegangene Demontage in analysierende Worte zu kleiden. "Vom ersten Niederschlag habe ich mich locker erholt, nach dem zweiten war ich bei sieben wieder auf den Beinen und dachte, dass es weitergeht. Aber der Ringrichter hat es anders gesehen. So konnte ich nicht zeigen, was noch in mir gesteckt hätte", sagte der Franzose und schob zur endgültigen Belustigung noch nach, er sei von Wladimir Klitschko kein einziges Mal voll getroffen worden.

Wie es sich tatsächlich zugetragen hatte, davon waren 50.000 Fans in der Heimstätte des Fußballklubs Fortuna Düsseldorf und 12,26 Millionen bei RTL (Marktanteil: 50,3 Prozent) Zeuge geworden. Mormeck hatte gegen den vier Jahre jüngeren, 17 Zentimeter größeren und 13 Kilogramm schwereren Dreifachweltmeister im Schwergewicht nicht den Hauch einer Chance. Schon in der ersten Runde hatte er nach einer Linken zum Kopf so heftig geschaukelt wie vor dem Kampf beim Abspielen der französischen Nationalhymne, Arm in Arm mit seinen Teamkollegen. In Runde zwei war er nach einer Links-Rechts-Kombination des Ukrainers erstmals am Boden, nach 72 Sekunden der vierten Runde musste Ringrichter Luis Pabon aus Puerto Rico nach einer harten Rechten zum Kopf den Kampf abbrechen, um Mormeck vor schwereren körperlichen Schäden zu bewahren.

Es blieb das Geheimnis des Franzosen, mit welcher Taktik er dem Champion hatte beikommen wollen. Als Kommentator des französischen TV-Senders Orange hat Mormeck einige Kämpfe von Wladimir Klitschko verfolgt, er hätte also wissen müssen, was auf ihn zukommen würde. Aber weil Klitschko ihn von Beginn an unter Druck setzte, wirkte der auf Guadeloupe geborene Ex-Weltmeister im Cruisergewicht auch im Ring eher wie ein Beobachter denn wie ein Herausforderer. "Ich habe ihm keine Chance gelassen, seinen Plan durchzuziehen. Mein Tempo und meine Entschlossenheit haben ihn wohl überrascht", mutmaßte der Sieger.

Es ehrt Mormeck, dass er seine Grippeerkrankung, die ihn eine Woche vor dem Kampf zur Einnahme von Antibiotika und Tamiflu zwang, nicht als Ausrede anführte. Dass Tamiflu jedoch nicht nur Grippeviren, sondern auch jeglichen Mut aus dem menschlichen Körper vertreibt, sollte zwingend als Nebenwirkung in den Beipackzettel aufgenommen werden.

Natürlich sind Gegner von derart mangelhafter Klasse in der seit Jahren geführten Diskussion um die Schwäche des Schwergewichts Wasser auf die Mühlen aller Klitschko-Kritiker. Dennoch bleibt festzuhalten, dass jeder Weltmeister für seine freiwilligen Titelverteidigungen auch mal leichtere Kontrahenten verpflichtet. Bei dem Klassenunterschied, der zwischen den Klitschko-Brüdern und ihren stärksten Konkurrenten existiert, sieht ein Duell mit einem schwächeren Herausforderer dann eben so aus wie das in Düsseldorf. Mormeck war letztlich maßgeschneidert dafür, dass Wladimir Klitschko im 60. Profikampf den 50. 5Knock-out schaffen konnte, den er zuvor versprochen hatte.

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Dass der 57. Sieg in Klitschkos Vita nur eine statistische Fußnote sein wird, zeigte der verhaltene Jubel des Publikums, das noch am meisten Applaus dafür spendete, dass Klitschko einem Jugendlichen den schönsten Tag seines Lebens bescherte. Der 14 Jahre alte Alexei leidet an der unheilbaren Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose und hatte sich ein Treffen mit seinem Idol gewünscht. Der aus San Francisco eingeflogene Junge durfte einen von Klitschkos WM-Gürteln in den Ring tragen und nach dem Kampf auf den Schultern des Champions durch den Ring reiten. Es war das schönste Bild des Abends.

Schon am 7. oder 14. Juli nimmt Wladimir Klitschko an einem noch nicht benannten Ort in Deutschland den nächsten Anlauf, seine Dominanz zu zementieren. Allerdings muss er dann physisch mehr Gegenwehr in Kauf nehmen. Der US-Amerikaner Tony Thompson, Pflichtherausforderer beim Weltverband IBF, ist ihm in Größe und Gewicht ebenbürtig. Allerdings hat der 40-Jährige im Juli 2008 in Hamburg schon einmal das zweifelhafte Vergnügen gehabt, Klitschko im Ring nicht zu treffen. In Runde elf ging er k. o., zeigte bis dahin aber eine derart couragierte Leistung, dass er sich die zweite Chance verdient hat. Im Herbst wäre dann ein Duell mit Chris Arreola in den USA möglich, wo der jüngere Klitschko seit Februar 2008 nicht mehr gekämpft hat. Arreola ist allerdings auch schon 30 und war im September 2009 von WBC-Weltmeister Vitali vorgeführt worden.

Auf die Frage, ob es nicht bessere, jüngere Herausforderer gäbe, antwortete Klitschko: "Es gibt eine Menge guter Jungs, die meinen Bruder und mich noch vor Probleme stellen werden." Es klang mehr hoffend als wissend.