Boxchampion Wladimir Klitschko ist seit acht Jahren ohne Niederlage und will gegen Jean-Marc Mormeck erneut seine Dominanz beweisen.

Hamburg. Es ist zur Gewohnheit geworden, dass vor jedem Kampf der Klitschko-Brüder das Niveau im Schwergewicht, der Königsklasse des Berufsboxens, infrage gestellt wird. Weil sich Vitali, 40, als Weltmeister des WBC und Wladimir, 35, als Champion von WBO, WBA und IBF seit Juli 2011 die Titel der vier bedeutenden Weltverbände teilen, werden Experten und solche, die sich dafür halten, nicht müde, über die Langeweile zu lästern, die die hoch überlegenen Ukrainer über ihre Gewichtsklasse gebracht haben.

Auch in den Tagen vor diesem Sonnabend, an dem der jüngere Klitschko seine Titel gegen den Franzosen Jean-Marc Mormeck aufs Spiel setzt, war das Wehklagen groß, weil niemand dem Herausforderer die Sensation zutraut. Mormeck ist ein 39 Jahre alter, ehemaliger Cruisergewichts-Weltmeister, der seit seinem Aufstieg ins Schwergewicht innerhalb von viereinhalb Jahren drei Kämpfe bestritt und dabei gegen mittelmäßig begabte Gegner lediglich mühsame Punktsiege erreichte. Der im französischen Karibik-Departement Guadeloupe geborene Athlet ist mit 181 Zentimetern Körperlänge 17 kleiner und mit 98 Kilogramm 13 leichter als der Weltmeister.

+++ Wladimir Klitschko hofft auf den Jubiläums-Knock-out +++

Zwar gilt Mormeck als schlagstark, schnell und im Infight, also im Nahkampf mit dem Gegner, versiert. Ein Sieg des Außenseiters wäre jedoch nur möglich, wenn er Klitschko ungedeckt mit voller Wucht erwischen könnte. Den dafür nötigen Mut sagt man dem Franzosen nach. Ob er jedoch die Chance für den "Lucky Punch" bekommt, liegt einzig daran, wie konzentriert der Champion arbeitet. Seit fast acht Jahren hat Wladimir Klitschko nicht verloren, die Niederlage im April 2004 gegen den US-Amerikaner Lamon Brewster markiert den Tiefpunkt seiner Laufbahn. Der Wendepunkt war das Duell im September 2005, als er gegen den Nigerianer Samuel Peter dreimal am Boden war und nach Punkten gewann.

Seitdem sind Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit von Kampf zu Kampf gewachsen. Peter war der letzte Gegner, der ihn ernsthaft in Bedrängnis brachte, aber nicht weil er so viel stärker war als die, die es danach versuchten, sondern weil Wladimir Klitschko ein anderer ist seit 2005. Er trainiert für jeden Kampf, als wäre es sein letzter, er hat seine Lektion gelernt, niemals einen Gegner zu unterschätzen, seit er im März 2003 vom Südafrikaner Corrie Sanders ausgeknockt worden war, weil er schon beim Walk-in an seinen Urlaub dachte. Statt am Strand landete er auf dem Boden der Tatsachen, der Weg zurück an die Spitze war hart, erst im April 2006 war er wieder Weltmeister und begann, seinen Beruf zu lieben.

Der promovierte Sportwissenschaftler arbeitet seit Jahren an der Perfektion seines Wirkens. In einem Gespräch mit dem Abendblatt bekannte er kürzlich, dass er seinen Trainer Emanuel Steward für die tägliche Arbeit nicht mehr benötige. "Ich bin jetzt in einer Phase meiner Karriere, in der ich selbst bestimme, was ich mache. Ich sage Emanuel komplett, wo es im Training langgeht. Er kümmert sich nur noch um die Taktik", sagt er. Tatsächlich fliegt der 67 Jahre alte US-Amerikaner erst zur Sparringsphase ins Trainingscamp in Österreich ein. Den athletischen Aufbau bestreitet der Weltmeister allein, teils nach den Plänen seines ersten Profitrainers Fritz Sdunek, von dem er sich nach der Brewster-Niederlage endgültig getrennt hatte. 70 Prozent der Arbeit mit Steward bestünde aus Reden. "Wir unterhalten uns sehr viel über das Boxen, über Strategien für die Kämpfe. Früher brauchte ich im Training die Führung von Fritz, jetzt habe ich mein eigenes Programm entwickelt. Ich habe gefunden, was ich gesucht habe", sagt Klitschko.

Diese Aussage gilt nicht nur für den sportlichen Sektor, denn auch wirtschaftlich bewegen sich die Brüder auf einem Level, das in Deutschland kein anderer Boxer nur annähernd erreicht. Selbst zum Kampf gegen den unbekannten und als chancenlos eingestuften Mormeck werden rund 45 000 Fans in die Düsseldorfer LTU-Arena pilgern. RTL, das von 22.15 Uhr an auf Sendung geht, rechnet wieder mit einer zweistelligen Millionenquote. Natürlich sind darunter auch einige Neider, die auf die Sensation hoffen und das Regiment der Langeweile beendet sehen wollen. Der größte Teil der Zuschauer aber, das zeigen regelmäßig durchgeführte Umfragen, guckt die Klitschkos, weil sie gewinnen und Erfolg anziehend wirkt. Wer solche Zahlen vorweisen kann, der muss sich nicht viel vorhalten lassen.

Wladimir Klitschko hat kürzlich einen bemerkenswerten Satz gesagt. "Solange ich boxe, werde ich nicht mehr verlieren", sagte er. Man kann diesen Satz als Größenwahn verstehen, der zum Unterschätzen des Gegners und damit ins Verderben führt. Man kann ihn aber auch begreifen als Gemütszustand eines Mannes, der bereit ist, für den Erfolg härter zu arbeiten als viele andere. Dominanz kann nur langweilig sein, wenn die Arbeit, aus der sie resultiert, nicht anerkannt wird. Wladimir Klitschko ist auch deshalb so stark, weil er Siege nicht als Gewohnheit abtut. Er ist nicht gelangweilt von seinem Erfolg. Für seine Gegner und seine Kritiker sind das keine schönen Aussichten.