19 Jahre nach dem Flugzeugabsturz der Nationalmannschaft gewinnt Sambia am Ort der Tragödie den Afrika-Cup gegen die Elfenbeinküste.

Berlin. Der Kreis zwischen Hölle und Himmel hatte sich geschlossen. An der Eckfahne waren Sambias Spieler auf die Knie gesunken, einige sangen leise eine sanfte Melodie, andere streckten ehrfürchtig die Hände in den Nachthimmel. Hervé Renard eilte herbei, auf den Armen trug der hünenhafte Trainer den verletzten Joseph Musondo. Am Ort der größten Tragödie des Landes im Triumph vereint, das war die Botschaft der Mannschaft, die erstmals den Afrika- Cup gewonnen hatte. In jener Stadt, in der am 27. März 1993 ihre Vorgänger bei einem Flugzeugunglück getötet worden waren. Libreville in Gabun ist in Sambia ein Synonym für den Tod. „Das war ein Zeichen des Schicksals, es war in den Himmel geschrieben. Da war eine Kraft mit uns“, sagte Renard.

Vielleicht hat er nicht mal übertrieben. Der Finaleinzug war bereits eine Überraschung, der Sieg im Elfmeterschießen über die favorisierte Elfenbeinküste mit ihren Stars Drogba, Gervinho und den Touré-Brüdern kam einer Sensation gleich. Ein Team der Namenlosen hatte im Namen der Toten gesiegt. Ohne Pathos, dafür mit echten Gefühlen der Anteilnahme. „In Gedenken an 1993 – ihr spielt zu Hause“, stand auf dem Plakat einer Fangruppe, mit dem Sambias Spieler nach dem Sieg durch das Stadion von Libreville liefen.

An jenem 27. März 1993 war eine sambische Militärmaschine um 22.44 Uhr nach einem Tankstopp in Libreville abgehoben. Sie war auf dem Weg zum WM-Qualifikationsspiel im Senegal. Eine Minute später waren alle 30 Insassen tot, darunter 18 Spieler, die Trainer und die Verbandschefs. Augenzeugen wollen eine Explosion am Himmel gesehen haben. Es gibt die Theorie, dass der Jet abgeschossen wurde. Fakt ist nur, dass Flug AGF-319 500 Meter vor dem Strand in den Atlantik stürzte. Weil sich die Mannschaft Linienflüge nicht leisten konnte, hatte sie die veraltete Unglücksmaschine besteigen müssen, trotz böser Erfahrungen. Zwei Jahre zuvor war eine Militärmaschine mit der Mannschaft von kongolesischen Rebellen beschossen worden, die einen feindlichen Angriff gefürchtet hatten. Sie ließen Abfangjäger aufsteigen, zwangen den Jet zur Landung und inhaftierten das Team. Ein Jahr zuvor hatten die Spieler kurz nach dem Start Rettungswesten anlegen müssen, weil der Pilot den Absturz ins Kalkül gezogen hatte.

In Sambia wurde nach dem Unglück Staatstrauer ausgerufen, am Strand von Gabun Fußballschuhe angeschwemmt, später die Leichen. Jene Menschen liegen nur einige Hundert Meter entfernt vom Independence Stadium in Sambias Hauptstadt Lusaka. Heroe’s Acre haben sie den Platz genannt, er wird zum Nationalerbe gezählt. 30 Gräber, 30 weiße Grabsteine. Die Ruhestätten von Efford Chabala, Whiteson Changwe oder Godfrey Chitalu. Sie bilden einen Halbkreis, in dessen Mitte ein Granitmonument steht. Obendrauf wurde ein überdimensionaler Fußball aus Stein montiert. Es ist eine Pilgerstätte Sambias, jährlich findet eine Gedenkfeier statt. In der ehemals britischen Kolonie preisen sie die toten Spieler als „gefallene Helden“.

Die Helden von heute heißen Chris Katongo, der mal in Bielefeld gespielt hat, jetzt in China bei Henan Jianye sein Geld verdient und Spielführer der Mannschaft ist. Sie heißen Stoppila Sunzu, der den entscheidenden Elfmeter verwandelt hatte. Oder Kennedy Mweene, Torwart Sambias, der beim Elfmeterschießen selbst traf und in der heißen Phase den von Kolo Touré hielt. Mweene war beim Unglück neun Jahre alt. Die Toten waren als Spieler seine Vorbilder. Mweene sagt, die Mannschaft habe darauf gebrannt, „für unsere Idole von damals zu triumphieren“.

Sambias Mannschaft, genannt Chipolopolo (Gewehrkugeln), hatte sich am Erfolg orientiert – Libreville aber war ihr Fixpunkt. Der Quell sambischer Tränen sollte zum Ort des Triumphes werden. Zwei Tage vor dem Finale besuchte die Mannschaft den Unglücksstrand. Angeführt von Kalusha Bwalya legte sie Blumengebinde nieder, die aufs Meer hinausgeschwemmt wurden. Bwalya war einer von drei Spielern, die zum Zeitpunkt des Dramas für europäische Klubs spielten und von Amsterdam aus in Dakar zur Mannschaft stoßen wollten. Ihre eigenen Reisepläne retteten ihnen das Leben. Bwalya spielte zu der Zeit beim PSV Eindhoven. Er wollte gerade zum Joggen gehen, als ihn der Buchhalter des sambischen Verbandes anrief. Alle tot, nur du bist übrig geblieben. Er schaltete den Fernseher an, die Nachrichtensendung der BBC bestätigte ihm den Albtraum wenig später.

Der 48 Jahre alte Bwalya ist mittlerweile Präsident des sambischen Fußballverbandes. Er empfindet noch heute Schuld, weil er nicht mit im Todesflieger saß. Er sagt: „Die Spieler waren 1993 an Bord, um sich und unserem Land einen Traum zu erfüllen. Genau das wollten wir dieses Mal auch. Mit dem Unterschied, dass wir am Leben sind.“

Die schönsten Jubelfotos vom Afrika-Cup unter www.abendblatt.de/sambia