Erstmals seit fast acht Jahren absolvieren die beiden Box-Weltmeister Vitali und Wladimir Klitschko ein gemeinsames Trainingscamp in Österreich.

Going. Sie haben versucht, so professionell wie möglich zu antworten, aber dann passiert es doch noch, kurz bevor die Fragerunde ihr Ende findet: Vitali und Wladimir Klitschko erlauben sich einen Moment der Sentimentalität. "Wir sind nicht nur Brüder, sondern Freunde. Ich danke meinen Eltern sehr, dass sie mir diesen Bruder geschenkt haben", sagt Vitali, und Wladimir kontert: "Es ist ein Geschenk, wenn man einen Bruder hat, mit dem man alles teilen kann." Die Schwergewichts-Boxweltmeister sitzen nebeneinander in der Bibliothek des Promihotels Stanglwirt in Tirol , und in diesem emotionalen Moment wirken sie in ihrem Trainingsanzügen, Wladimir in Russisch Rot, Vitali in Schwarz , wie normale Menschen und nicht wie die Ausnahmeathleten, die sie sonst darstellen.

Dass die ukrainischen Brüder gern im Doppelpack auftreten, daran haben sich die Fans gewöhnt wie ihre Gegner. Dennoch hat das, was in diesen Tagen in Österreich zu beobachten ist, Seltenheitswert. Zum ersten Mal seit fast acht Jahren sind die Klitschkos wieder gemeinsam im Trainingslager. Letztmals war dies im März 2004 der Fall, als sie sich in Las Vegas auf ihre WM-Kämpfe - Wladimir gegen Lamon Brewster, Vitali gegen Corrie Sanders - vorbereiteten. Nach seiner Niederlage gegen Brewster verbannte der heute 35 Jahre alte Wladimir den fünf Jahre älteren Bruder aus seinem nächsten Vorbereitungscamp, weil er ihm zu kritisch war. Seitdem haben sie kein Trainingslager mehr gemeinsam bestritten - bis Wladimir am Sonntag im Stanglwirt eincheckte, wo Vitali seit dem 15. Januar arbeitet. Nötig wurde die nicht eingeplante Doppelbelegung, da Wladimir seinen für Dezember geplanten Kampf gegen den Franzosen Jean-Marc Mormeck wegen eines Nierensteins absagen musste und ihn nun am 3. März in Düsseldorf nachholt. Vitali tritt am 18. Februar in München gegen den Briten Dereck Chisora an.

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Am Dienstagnachmittag um 17.03 Uhr waren die Brüder in der hoteleigenen Tennishalle gemeinsam in den eigens für sie aufgebauten Boxring gestiegen und hatten rund 15 Minuten Schattenboxen zur Erwärmung absolviert. Zwei Klitschkos in einem Ring - für einen Kampf ist dieses Szenario undenkbar, da die beiden ihrer Mutter das Versprechen gegeben haben, niemals gegeneinander anzutreten. "Für die Brüder sind diese gemeinsamen Übungen aber nichts Besonderes, sie machen das vor jedem Kampf als Aufwärmprogramm. Allerdings dann nur in der Kabine und nicht in einem Boxring, und auch nicht vor Publikum", sagt Vitalis Trainer Fritz Sdunek. Der 64-Jährige genießt die friedliche Atmosphäre, die zwischen den Brüdern herrscht: "Sie verstehen sich bestens, machen viele Späße miteinander."

"Für uns ist das eine Riesensache. Es gucken viel mehr Gäste beim Training zu als sonst, weil die auch wissen, dass es etwas Besonderes ist, wenn die Brüder gemeinsam trainieren", sagt Trixi Moser, Geschäftsführerin im Stanglwirt. Grundsätzlich sind die Trainingseinheiten so getaktet, dass es kaum Überschneidungen gibt. Um den Medienvertretern jedoch etwas bieten zu können, wurden die Nachmittagseinheiten am Dienstag zusammengelegt. Wladimir blickte während seines Trainings am Sandsack immer wieder zum Ring hinüber, wo sich sein Bruder mit den US-Amerikanern Michael Hunter und Ola Afolabi herumschlug. Er selbst steigt erst in der kommenden Woche ins Sparring ein. Am Montag wird Trainer Emanuel Steward im Stanglwirt erwartet. Seinem Bruder hat Wladimir gestattet, sein Sparring zu beobachten: "Er darf gern zusehen und mich kritisieren. Die Trennung 2004 war nötig, weil ich mein eigenes Ding machen musste, aber nun ist viel Zeit vergangen. Wir tauschen uns regelmäßig aus und geben uns Ratschläge."

"Die nächste Woche wird besonders stressig, denn es ist die einzige Woche, in der beide gleichzeitig Sparring machen", sagt David Williams. Der US-Amerikaner, der vor sieben Jahren als Koch zum Team Klitschko stieß und sich zum Campmanager hochdiente, bereitet dem gesamten Team täglich Mittag- und Abendessen zu. "Da Wladimir und Vitali unterschiedliche Speisepläne haben, koche ich vier verschiedene Menüs", sagt er. Dazu kommt das Frühstück für Wladimir, der im Gegensatz zum Bruder nicht am Hotelbüfett teilnimmt. Noch mehr Arbeit als Williams hat Aldo Vetere. Der 23-Jährige ist als Ersatz für den langjährigen Physiotherapeuten Matthias Braunger, der eine Festanstellung angenommen hat, neu im Team - und muss im Akkord Muskeln kneten. "Aber das macht riesigen Spaß, denn die beiden sind echte Maschinen", sagt Vetere, der bislang die Fußballer des Zweitliga-Tabellenführers Fortuna Düsseldorf betreute.

Williams ist der Einzige, der mit den Brüdern im zum Hotel gehörenden "Steiner-Haus" lebt, das rund fünf Gehminuten entfernt liegt. Aus der einsamen Berghütte am Hang des Wilden Kaisers, die sie sonst bevorzugen, mussten sie wegen Lawinengefahr ausziehen. Williams bewohnt mit Wladimir das Erdgeschoss, Vitali das Obergeschoss. Im Mittelgeschoss wohnt ein Urlauber aus München, dem die Brüder kürzlich eine Flasche Wein schenkten, um sich für die ungewohnte Lärmbelästigung zu entschuldigen. Während Vitali sich abends als Chef der Partei UDAR um seine politischen Ambitionen kümmert, übt sein Bruder Schlagzeug. "Er spielt gut, das höre ich oben genau", sagt Vitali, der erstmals sein Karriereende für den Fall in Aussicht stellte, dass er im Herbst die Bürgermeisterwahl in Kiew gewinnen sollte. Noch zählen jedoch die Ergebnisse im Ring, nicht die an der Wahlurne. "Wir genießen es sehr, dass wir so viel Zeit miteinander haben. Aber wir haben unser Ziel vor Augen: die vier Titel in der Familie zu behalten. Dafür sind wir hier", sagt Vitali. Für Sentimentalitäten ist eben auch im gemeinsamen Trainingslager nur wenig Platz.