Der deutsche olympische Segelsport will zurück an die Weltspitze. Hoffnungsträger sind unter anderem zwei Hamburger Europameister

Hamburg/Kiel. Wenn Johannes Polgar sagt, dass er und sein Crewkamerad Markus Koy keine Fußballer seien, klingt dies nach einer relativ banalen Feststellung. Schließlich befinden sich zwar auch Kicker häufig in einem Boot, segeln damit jedoch nicht wie die beiden Hamburger über die Weltmeere. Die Fußballanspielung dient Polgar daher auch nicht als Tätigkeitsbeschreibung. Sie soll vielmehr die Unterschiede zu anderen Leistungssportlern deutlich machen, verwunderten Zuhörern erklären, wie es möglich ist, dass die Segler nach dem Gewinn der Europameisterschaft am vergangenen Wochenende in Italien ihr Starboot auf den Hänger verluden und es höchstpersönlich zurück nach Hamburg kutschierten.

"Es ist logisch, dass ich mir das auch anders vorstellen könnte", sagt Polgar, der nach dem überraschenden Olympia-Aus für die Zweirumpf-Bootsklasse Tornado ins Kielboot Star wechselte und dort mit Koy seinen bislang größten internationalen Triumph feierte. Trotz der Unterstützung von Sponsoren kann der 32-Jährige von seinem Sport allein nicht leben, geschweige denn andere Menschen für Transportdienste bezahlen. "Das Segeln ist ein extrem teurer Spaß", sagt Polgar. "Das merke ich immer, wenn auf dem Konto mal wieder nichts mehr drauf ist. Roberto Blanco."

Auch um seinen Sport finanzieren zu können, setzt sich der studierte Betriebswirt einer Doppelbelastung aus, arbeitet für Audi im Bereich Vertrieb und Marketing. Er zog dafür von Dänisch-Nienhof an der Ostsee in die Hansestadt. Die Kieler Woche, für die "Tatort"-Kommissar Axel Milberg an der Seite von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen an diesem Sonnabend den Startschuss gibt, bleibt dennoch für ihn ein "Heimspiel". 1994 nahm Polgar zum ersten Mal an der Traditionsregatta teil, noch immer übt sie die gleiche Faszination aus. "Es ist einfach toll, wenn man sich hier vor den Leuten präsentieren kann", sagt er. Die Aufmerksamkeit der Besucher dürfte ihm in diesem Jahr gewiss sein, schließlich gelten die neuen Stars im Starboot zu den Athleten, mit denen der deutsche olympische Segelsport zurück an die Weltspitze will.

Neben Polgar und Koy gehören auch Silke Hahlbrock und ihr Hamburger Matchrace-Team und Shootingstar Philipp Buhl zu den Hoffnungsträgern für den olympischen Teil der Kieler Woche. Der 20-jährige Sonthofener Sportsoldat hatte sich vor einer Woche überraschend Platz vier bei der Laser-Europameisterschaft erkämpft. "Jetzt traue ich mir auch mehr zu", sagte er. "Ich will bei der Kieler Woche aufs Podium." Mit den Flensburger 49er-Seglern Lennart Briesenick-Pudenz/Morten Massmann, der Kieler Surferin Moana Delle und Heiko Kröger aus Hamburg in der Paralympics-Klasse 2.4mR sind zudem drei deutsche Titelverteidiger am Start.

Der dreimalige Olympiasieger Jochen Schümann, der als Besucher und Botschafter des neuen Sailing Team Germany nach Kiel kommt, sieht einen positiven Trend. "Es gibt endlich wieder Aufbruchstimmung im deutschen Segelsport." Dazu trägt der Automobilkonzern Audi nicht unerheblich bei: Nach dem Einstieg in die Kieler Woche und dem Sponsoring von Schümanns "TP52 Audi A1 by All4One" in der internationalen Profiserie MedCup sind die Ingolstädter nun auch Namensgeber der neuen Nationalmannschaft und investieren im ersten Jahr geschätzt eine Million Euro allein in die olympische Mission.

Zur Kieler Woche müssen sich die Fans beim Blick auf rund 5000 Teilnehmer in 2000 Booten an neue Namen gewöhnen. Denn viele deutsche Leistungsträger wie der dreimalige Tornado-Weltmeister Roland Gäbler, der zweimalige Olympia-Teilnehmer Marcus Baur oder die Peckolt-Brüder Jan und Hannes, die 2008 in China Bronze im 49er gewannen, sind vom olympischen Leistungssport zurückgetreten. Zuletzt hatte Deutschlands erfolgreichste Seglerin des letzten Jahrzehnts ihre olympische Karriere beendet: Die Berliner Olympia-Vierte Ulrike Schümann tritt bei der Kieler Woche nicht mehr im Matchrace als Rivalin von Silke Hahlbrock an, sondern als Taktikerin an der Seite von Skipper Tim Kröger auf Audis TP52, die mit Profis und Amateuren um die deutsche Meisterschaft für Seesegler (Inshore) segelt.

Mit Kröger, 45, hatte sich Polgar zunächst an das Projekt Starboot gewagt, holte sich dann aber aus Gewichtsgründen nach einem Jahr Koy, 35, ins Boot. Ein Wechsel, der zwischenmenschlich für Wellen sorgte. "Ich hoffe, dass ich mit Tim in den nächsten Tagen mal bei einem Bier sprechen kann", sagt Polgar. Das klingt auch ziemlich banal, aber erfolgsversprechend.