Krzysztof Lijewski überragt mit neun Toren. Heute um 17 Uhr feiern die Hamburger ihren Titel auf dem Rathausbalkon mit Ole von Beust.

Hamburg. Die Spuren des Kampfes waren Krzysztof Lijewski kaum anzusehen. Allein die Hautpartie an der linken Schulter schien leicht gerötet, doch das waren eher die Folgen vom Einstich der betäubenden Spritze vorher und des Eisbeutels hinterher, der das geschundene Gelenk kühlen sollte. "Die Schmerzen", sagte der Pole und lächelte dabei gewohnt verschmitzt, "liegen irgendwo da draußen in der Halle. In meinem Kopf herrscht im Moment einfach nur Freude, Freude, Freude."

Mit neun Toren in neun Versuchen hatte der 26-Jährige die Handballer des HSV zum zweiten Pokalgewinn nach 2006 geworfen und in der Mannschaft, im Umfeld und unter den in Finkenwerder Fischerhemden gekleideten Fans kollektive Begeisterung ausgelöst. Vor vier Jahren hieß der Gegner noch SG Kronau-Östringen, diesmal waren es nach der Umbenennung des Klubs die Rhein-Neckar Löwen, die wie damals den Hamburgern ähnlich unglücklich unterlagen, jetzt mit 33:34 nach Verlängerung.

Dass Lijewski überhaupt würde spielen können, hatte sich erst beim Aufwärmen entschieden. "Als er da einen Ball mit 150 km/h ans Lattenkreuz nagelte, wussten wir, es geht bei ihm", erzählte der sportliche Leiter Christian Fitzek. Und hatte der Held nicht schon genug geleistet, so musste er 50 Sekunden vor dem Ende der Zusatzzeit auch noch den Siegtreffer besorgen. Selbst ein Schlag auf die Leber, der ihm für Zehntelsekunden das Bewusstsein nahm, konnte ihn beim Wurf zum 34:33 nicht aufhalten. Blazenko Lackovic hatte ihn im rechten Rückraum angespielt und Lijewski den einstudierten Spielzug, den sie beim HSV "Lemgo" nennen, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit und die seines Gegenspielers Uwe Gensheimer wie in Trance vollendet: "Ich wusste gar nicht, wohin ich werfe, Hauptsache, irgendwie aufs Tor." Dass im Gegenzug Mannheims Olafur Stefansson den Ball in Bedrängnis HSV-Kreisläufer Igor Vori in die Hände spielte, nahm Lijewski mit zurückgekehrten Sinnen von der Bank wahr. Mit der Ballereroberung hatten die Hamburger den Pokal endgültig an den Henkeln gepackt.

Während sich die Rhein-Neckar Löwen danach in Schiedsrichterschelte übten (siehe nebenstehenden Text), wurden in die HSV-Kabine kistenweise Bierflaschen geschleppt. Es war der Auftakt einer rauschenden Party, die um 18 Uhr im Hotel East auf St. Pauli fortgesetzt wurde und heute Nachmittag mit dem Empfang von Bürgermeister Ole von Beust auf dem Rathausbalkon enden soll. Hamburg 1 überträgt von 17 Uhr an live und erwartet die Mannschaft selbst ab 20.15 Uhr im "Rasant"-Studio.

Der trainingsfreie Tag, sagte Trainer Martin Schwalb, sei aber auch das Einzige, was der Pokalsieg beim HSV verändert habe: "Zufrieden geben wir uns damit nicht." In der Champions League und vor allem in der Meisterschaft kann der Erfolg noch verdoppelt und verdreifacht werden. Den gestrigen Titel wollte Lijewski auch als Signal an die Rivalen verstanden wissen: "Ciudad Real und Kiel wissen, dass wir schon einen Pott gewonnen haben."

Es könnte ja sein, dass manche das der Hamburger Weltauswahl schon nicht mehr zugetraut hatten nach zwei titellosen Jahren. "Letzte Saison lagen wir am Boden und haben Stress von allen Seiten bekommen. Zu Recht, wenn man mit so einer Mannschaft keinen Pott gewinnt", sagte Lijewski.

Vielleicht war es ja wirklich so, wie Schwalb vermutet: dass das letztjährige Halbfinal-Aus gegen Gummersbach seiner Mannschaft die Versagensangst genommen hat. Sie hat gestern nicht 70 Minuten brillant gespielt. In den entscheidenden Situationen aber war ihre Leistung grenzwertig. Johannes Bitter wehrte in der Verlängerung fünf Würfe ab, einen mehr als in der gesamten regulären Spielzeit. Er habe, erzählte der Nationaltorhüter später, den Ernst der Lage einfach ausgeblendet und an schöne Dinge gedacht: an das leckere Essen vom Vorabend (Spaghetti bolognese), den nächsten Sommerurlaub, an seine Familie. "Das hat geklappt."

Finale: HSV Hamburg - Rhein-Neckar Löwen 34:33 n. V. (30:30, 15:15). Tore, Hamburg: K. Lijewski 9, Jansen 7, Duvnjak 5, Vori 3, Lindberg 3 (1 Siebenmeter), Lackovic 2, B. Gille 2, G. Gille 1, M. Lijewski 1, Hens 1; Rhein-Neckar: Stefansson 8 (5), Gensheimer 6, Myrhol 6, Bielecki 4, Groetzki 3, Tkaczyk 2, Gudjonsson 2, Manojlovic 1, Müller 1. Schiedsrichter: Fleisch/Rieber (Ostfildern/Nürtingen). Zuschauer: 13 104 (ausverkauft). Zeitstrafen: 4; 7. Siebenmeter: 2 (1 verwandelt); 8 (5).

Halbfinale: Rhein-Neckar Löwen - VfL Gummersbach 31:21 (14:10), HSV - TuS N-Lübbecke 37:32 (17:13). Spiel um Platz drei: N-Lübbecke - Gummersbach 29:26 (15:12).