“Von den Frauen lernen heißt siegen lernen“, lautet die Erfolgsformel für die Olympischen Spiele, an der sich die Trainer orientieren sollen.

Vancouver. Bob und Rodeln gut - und die weiblichen Athleten sowieso. Frauen und Technik sind die Grundpfeiler des Erfolgs der deutschen Olympiamannschaft, bestehend aus 57 Frauen und 73 Männern (exklusive Eishockeyteam), in Vancouver und Whistler. 13 der bisher 23 deutschen Medaillen gewannen Sportlerinnen, acht die Männer, dazu holten die Paarläufer Aljona Sawtschenko/Robin Szolkowy Bronze. Die Schlittenfahrer beider Geschlechter steuerten zur Gesamtausbeute neun Medaillen bei. Die Ursachen haben System.

In der Forschung und der Förderung der Frauen gehören die deutschen Sportverbände zu den führenden der Welt. Das zahlt sich bei der überschaubaren Konkurrenz Olympischer Winterspiele aus. In Kanada können die Deutschen zum vierten Mal nach der Vereinigung die inoffizielle Medaillenwertung gewinnen. Und stets waren es die Sportlerinnen, die maßgeblich diese Erfolgsgeschichte mitschrieben.

"Durchhaltevermögen, Leidenschaft, aber auch Leidensfähigkeit, Biss und der Wille zum Sieg zeichnen Frauen im Leistungssport aus", sagt Meike Evers. Die zweimalige Ruder-Olympiasiegerin (2000, 2004) aus Kiel ist die deutsche Vertreterin in der Athletenkommission der Weltantidoping-Agentur (Wada). In dieser Funktion begleitet die Antidoping-Vertrauensperson des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) die Winterspiele in Vancouver. "In wenigen Ländern nur", sagt Evers, "finden Frauen ähnlich gute gesellschaftliche Rahmenbedingungen und sportliche Trainingsmöglichkeiten vor wie in Deutschland. Hinzu kommt, dass es grundsätzlich von der Anzahl her weniger starke Gegner gibt als bei den Männern. Das ist ein mitentscheidender Faktor, der es den Frauen leichter macht." Das sieht der dreimalige Biathlon-Olympiasieger Michael Greis, einer, der in Vancouver bislang mehr hinterherläuft, ähnlich: "Bei den Männern sind es bis zu 40 Skijäger, die aufs Podium laufen können, bei den Frauen zehn bis 15."

Für den Hamburger Sportsoziologen Markus Friederici sind die unterschiedlichen Konkurrenzsituationen ebenfalls zentraler Teil der Erklärung. "Die deutschen Frauen sind nicht unbedingt besser als die Männer, sie schneiden in ihren Wettbewerben aber mitunter besser ab, weil sich ihre Konkurrentinnen unter deutlich schlechteren Bedingungen auf die Wettkämpfe vorbereiten müssen."

Gerade die Rolle der Frau in der Gesellschaft, sagt der Wissenschaftler, habe bedeutenden Einfluss auf die Leistungserbringung. Das emanzipatorische Niveau einer Gesellschaft bestimme letztlich auch den Umfang der Unterstützung weiblicher Sportkarrieren. Friederici: "In traditionellen Gesellschaften definieren sich die Männer in der Regel über ihre Arbeit, die Frauen über die Familie."

Der Zeitpunkt der Eheschließung wie die Geburt des ersten Kindes lassen hier Laufbahnen im Leistungssport kaum zu, zumal eine athletische Frau, die sich über den Sport selbst verwirkliche, nicht in die traditionelle Rollentypologie passe. Männliche Olympiateilnehmer kommen aus allen Ländern der Welt, weibliche sind dagegen oft die Vorzeigefrauen einer nicht oder nur in Ansätzen existierenden femininen Sportbewegung.

"In Deutschland werden Männer und Frauen gleichermaßen staatlich gefördert. Davon profitiert unser Sport. Ein ähnliches System hat sich nur in wenigen anderen, vor allem europäischen Ländern etabliert", sagt Ulf Tippelt. Der Sportwissenschaftler ist Leistungssportdirektor des DOSB. In den meisten Nationen basiere die Sportförderung auf finanzieller Unterstützung von Sponsoren, Mäzenen und Stiftungen. "Da geht es nicht darum, jedes Talent zu fördern, sondern jene Talente, von deren Erfolgen man sich später ökonomische Vorteile verspricht", sagt Tippelt. Beispiel Biathlon: In Nordamerika hat die in Deutschland so beliebte Sportart wenig Anhänger, entsprechend kärglich fallen die Mittel für die Athleten aus. Nur ereignisbezogene Förderprogramme, wie sie die Kanadier für Vancouver 2010 aufgelegt hatten, "Own the Podium", entfalten Breitenwirkung.

Auch wenn Männer und Frauen in Deutschland vom Gesetz her gleichberechtigt sind, im Berufsleben sind sie es immer noch nicht. Karrieren sind weiter oft Männersache. Diese wenig motivierende Perspektive könnte junge Sportlerinnen stärker als ihre männlichen Kollegen ermutigen, im Leistungssport ihre Lebenschance zu suchen. Wer nicht bei Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll seine berufliche Zukunft sieht, muss abwägen zwischen einem späteren Einstieg ins Arbeitsleben, weniger Aufstiegsmöglichkeiten und geringeren Einzahlungen in die Rentenkasse.

"Das duale System, das Leistungssport und Beruf vereinbaren lässt, steckt bei uns erst in den Anfängen. Aufgrund dieser Problematik könnten uns mehr männliche als weibliche Talente verloren gehen. Ich halte das nicht für ausgeschlossen", mutmaßt Ingrid Unkelbach, Leiterin des Olympiastützpunktes Hamburg/Schleswig-Holstein und ehemalige Laufbahnberaterin. Für diese These, sagt Leistungssportdirektor Tippelt, gebe es bislang keine Belege - weil auch keine entsprechenden Untersuchungen vorliegen. "Richtig an all dem ist", sagt Olympiasiegerin und Kriminalkommissarin Meike Evers, "dass die Sportler in Deutschland besser abgesichert werden müssen. Im EU-Land Polen zum Beispiel gibt es für Medaillengewinner die Rente schon ab 35 Jahren."

Wer nach den Gründen weiblicher Erfolge sucht, der ist bei Uwe Müßiggang richtig. Bei den Männern fehle manchmal auch der Teamgeist, der die Frauen besonders auszeichne, sagt der Frauen-Biathlon-Bundestrainer. "Da kommt kein Knatsch auf, da gibt es keine schrägen Blicke", beschreibt Müßiggang die Situation, als er Martin Beck erklärte, warum er sie für die Wettbewerbe im Sprint und der Verfolgung nicht nominieren werde.

Aufstände gegen die Trainer, wie sie vor anderthalb Jahren Olympiasieger Greis gegen Männer-Bundestrainer Frank Ullrich anzettelte, seien bei den Frauen undenkbar. Ullrich wird nach Ende der Saison gehen. Müßiggang wird dann Cheftrainer für Frauen und Männer. Sein Motto für seinen neuen Aufgabenbereich: Von den Frauen lernen heißt siegen lernen.