Magdalena Neuner klagt über zu hohe Belastung: "Ich habe unheimlich stressige Tage hinter mir." Sie fühlt sich von den Olympia-Funktionären vorgeführt wie ein Zirkuspferd. Das Abendblatt sprach mit dem Sportspsychologen Bernd Strauß von der Uni Münster über die psychischen Belastungen der Spitzensportler bei Olympischen Spielen.

Abendblatt:

Herr Strauß, droht Magdalena Neuner ein Burn-out-Syndrom wie im Fall des Skispringers Sven Hannawald?

Bernd Strauß:

Magdalena Neuner und Sven Hannawald lassen sich überhaupt nicht vergleichen. Ein Burn-out-Syndrom würde sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Mit einem Burn-out-Syndrom kann man nicht - wie Magdalena Neuner - über längere Zeiträume Leistungen auf diesem herausragenden Leistungsniveau bringen.

Abendblatt:

Was steckt dann hinter Neuners Kritik?

Strauß:

Möglicherweise ist die Kritik an den Bedingungen vor Ort etwas, was sie schon länger sagen wollte. Es ist auch gleichzeitig durchaus berechtigte Kritik am Leistungssportsystem und dem Umgang mit Leistungssportlern - wie ihn manche Veranstalter, Verbände und natürlich wir als Öffentlichkeit praktizieren. Wenn sie es nach einer Niederlage gemacht hätte, dann hätte das wie eine faule Ausrede ausgesehen.

Abendblatt:

Welchen psychischen Belastungen sind Sportler bei Olympia ausgesetzt?

Strauß:

Was Athleten abzuliefern haben, ist enorm. Olympische Spiele finden nur alle vier Jahre statt. Das ersetzt keine Weltmeisterschaft. Hinzu kommen die lange Vorbereitung, das Verletzungsrisiko. Die Erwartungen sind riesig.

Abendblatt:

Wie gehen Sportler damit um?

Strauß:

Sie eignen sich einen Tunnelblick an und nehmen nur das auf, was für ihre Leistung wichtig ist. Darüber hinaus müssen sie die Kunst beherrschen, sich von der Stimmung vor Ort leistungsfördernd inspirieren zu lassen. Diese Fähigkeit zu entwickeln und zu unterstützen ist die Aufgabe eines Sportpsychologen. Die wissenschaftlich abgesicherten Methoden sind individuell für den Athleten maßgeschneidert - von Entspannungs- und Konzentrationstechniken über sportart-spezifische Wahrnehmungstechniken bis hin zu Kriseninterventionen.

Abendblatt:

Neuner kritisiert vor allem das Doping-Kontrollsystem. Zu Recht?

Strauß:

Das System verlangt den Athleten eine Menge ab: Sie müssen dopingfrei sein - und stehen trotzdem immer im Verdacht, doch Dopingsünder zu sein. Das Kontrollsystem ist heftig: Die Athleten müssen Wochen und Monate im Voraus ihren gesamten Tagesablauf gegenüber den Kontrolleuren öffentlich machen. Klar, das machen die Athleten alles freiwillig - und sagen wir besser, sie müssen es freiwillig machen, um überhaupt Leistungssport auf diesem herausragenden Niveau betreiben zu können. Aber Athleten brauchen zumindest das Vertrauen, dass sie immer noch als Mensch betrachtet und als Mensch behandelt werden.