Er hat Millionen mit dem Snowboard gemacht und ist weltweit führend, wenn es um die Entwicklung neuer Tricks geht: US-Star Shaun White.

Vancouver. Shaun White ballt die Faust, ruft "yeah", dann zieht er sich wieder sein Halstuch über den Mund, eines mit weißen Sternen auf blauem Untergrund hat er gewählt, die Nationalflagge, es ist ja Olympia. Es war zwar nur Training fürs erste, aber doch schon eine titelreife Vorstellung, die er da am Montagabend unter Flutlicht in die steile, offene Röhre am Cypress Mountain gelegt hat, sogar den Double McTwist 1260 hat er gezeigt. Ein Teamkollege umarmt ihn.

Der Double McTwist 1260 ist sein neuester Schrei. Sich sechs Meter in die Höhe schleudern, dreieinhalb mal um die eigene Achse drehen und dabei zwei Salti springen, einen vorwärts, einen rückwärts. Vor drei Wochen bei den X Games, dem wichtigsten Turnier außerhalb Olympias, hat er sich im Training bei dieser Figur übel vertan. Dass er nur eine tiefe Schürfwunde und Kieferschmerzen davontrug, war ein Wunder, aber was danach geschah, war schon fast übermenschlich. White schüttelte sich einmal, sah sich den Crash auf Video an, und nicht einmal eine Stunde später versuchte er "mein Biest" im Wettkampf. "Mein allererster Gedanke war: Ich muss aufstehen und ihn wieder probieren, ich darf das nicht in meinen Kopf kriechen lassen". Er stand den Sprung und gewann das Turnier. Sein Mythos kennt jetzt kaum noch Grenzen.

In der Nacht zum Donnerstag steigt nun das Olympiafinale. In den USA rechnet man mit den höchsten TV-Quoten der gesamten Spiele. White ist amtierender Olympiasieger, vor vier Jahren war er noch das Wunderkind, jetzt ist er Amerikas Winterliebling. Der Sportler der unbegrenzten Möglichkeiten. White ist nach einer Statistik des Magazins "Forbes" der bestverdienende Olympiastarter in Vancouver. Im vergangenen Jahr soll er acht Millionen Dollar verdient haben. Zum Vergleich: Ski-Heldin Lindsey Vonn kommt "nur" auf drei Millionen.

Die Halfpipe ist die Königsdisziplin der Snowboarder, und man kann sagen, dass sie den olympischen Dreisatz um eine neue Komponente bereichert: höher, schneller, weiter, kreativer. "Dieser Sport basiert auf der Vorstellungskraft, Tricks zu entwerfen, die nie zuvor versucht wurden", sagt White. Es ist sein Leitmotiv, seit er mit sechs zum ersten Mal auf einem Snowboard stand. Heute sieht er mit seinen langen roten Haaren aus wie ein Rockstar. Die Aura dazu hat er.

Im amerikanischen Team hat er seinen größten Konkurrenten schon erledigt, gewissermaßen im Fernduell. Schuld war seine letzte Erfindung vor dem Double McTwist 1260, der "Double Corks". Mal wieder setzte White den Standard, und die anderen fühlten sich verpflichtet nachzuziehen. Kevin Pearce hat es dabei zum Jahreswechsel so arg erwischt, dass er immer noch im Krankenhaus liegt.

Eine aufgeregte Debatte begann, ob die Doppelkorken nicht verboten werden sollten. "Es gab Unfälle, die uns allen nahe gingen. Unser Sport war immer gefährlich. Dennoch bin ich dankbar dafür, auf dem Fahrersitz zu sein, was die Erfindungen angeht", sagte White und treibt die anderen weiter vor sich her. Während er nach dem Training seinen Double McTwist 1260 ankündigte, klagten die meisten Fahrer, dass sie am verregneten Cypress Mountain ihre besten Tricks kaum zeigen können.

Shaun White ist der Snowboardwelt entwachsen, auch in sozialer Hinsicht. Gerade die amerikanischen Fahrer bezeichnen sich gegeneinander als beste Freunde, und das ist beileibe nicht nur Geschwätz; sie berühren, umarmen, ermuntern sich bei jeder Gelegenheit. Die besondere Kameradschaft ermöglicht die Abgrenzung zur etablierten, freudlosen, von gegenseitigem Misstrauen beherrschten Welt des Leistungssports.

White jedoch ist Einzelgänger. An seinen Tricks tüftelt er alleine, zuletzt häufiger in einer Spezialpipe, die ihm ein Sponsor für hunderttausende Euro in die Berge Colorados geeist hat. "Er hat sich von unserer großen Familie getrennt", sagt Gretchen Bleiler (USA), die Favoritin bei den Frauen, "aber sein Leben hat sich auch komplett geändert. Er ist der Superstar, dazu auserkoren, die Ikone dieser Olympischen Spiele zu sein."

Der Oberstdorfer David Speiser lieferte als Achter einen ordentlichen Olympia-Auftakt der deutschen Snowboarder ab. Der 29-Jährige scheiterte im Cross-Wettbewerb im Halbfinale. Gold holte erneut der Amerikaner Seth Wescott.