Viele Mannschaften, auch der HSV, beklagen Verletzte. Der Kalender für Handballer soll entzerrt werden. Heute gegen Rhein Neckar Löwen.

Hamburg. Gudjon Valur Sigurdsson wollte das alles nicht: die Operation, die lange Pause, tatenlos mit ansehen müssen, wie seine Rhein-Neckar Löwen die entscheidende Phase der Saison ohne ihn bestreiten würden. Er wäre bereit gewesen, gegen die Schmerzen in seinem Knie anzuspielen, so lange, bis es irgendwann einfach nicht mehr geht. Aber schließlich siegte die Vernunft. Oder besser: Sein Verein hat ihn dazu gebracht. "Wir mussten ihn regelrecht zwingen, nicht zu spielen", sagt Löwen-Geschäftsführer Thorsten Storm. Am Donnerstag wurde Sigurdsson entzündetes Narbengewebe aus dem Gelenk entfernt. Der Isländer, einer der vielseitigsten Handballer, wird zwölf Wochen fehlen - auch heute im Bundesliga-Spitzenspiel beim Tabellenführer HSV Hamburg (20.15 Uhr, Color-Line-Arena/DSF).

Sigurdsson (30) hat bei der Europameisterschaft im Januar die Bronzemedaille gewonnen. Er hat dort acht Spiele binnen 13 Tagen gemacht und war dabei exakt sieben Stunden, zehn Minuten und 22 Sekunden im Einsatz. "Dafür zahlt er jetzt den Preis", glaubt Storm. Fast alle Spitzenklubs bekommen die Spätfolgen des Turniers nun zu spüren. Kiels Europameister Daniel Narcisse brachte eine Knieverletzung mit, er fällt mehrere Wochen aus. Der Flensburger Kreisläufer Michael Knudsen war bereits lädiert nach Österreich gereist. Jetzt ist er bis auf Weiteres arbeitsunfähig und das Verhältnis zwischen Verein und Dänemarks Nationaltrainer Ulrik Wilbek zerrüttet. "Der Spieler wird einfach verbraten", empörte sich SG-Mannschaftsarzt Hauke Mommsen. Dem VfL Gummersbach fehlt zurzeit Rechtsaußen Vedran Zrnic. Der Kroate hatte sich im EM-Halbfinale am Knie verletzt, das Endspiel gegen Frankreich aber trotzdem bestritten.

Auch der HSV ist offenbar betroffen. Kreisläufer Bertrand Gille konnte wegen Schmerzen an der operierten Achillessehne das Finalwochenende der EM nur als Tribünengast verfolgen und hat seither nicht mehr trainiert. Nationalspieler Torsten Jansen erlitt am Sonntag beim Sieg in Minden einen Faserriss. Ein unmittelbarer Zusammenhang zur EM sei zwar nicht beweisbar, sagt HSV-Mediziner Oliver Dierk, "aber muskuläre Ermüdung kommt als Ursache infrage".

Dabei sei es nicht nur die körperliche Überanspruchung, die sich nun möglicherweise rächt. Drei Tage Pause reichten zur mentalen Regeneration nicht aus, meint Dierk: "Man fällt nach so einem Höhepunkt zwangsläufig in ein Loch. Aber wenn die geistige Frische fehlt, erhöht sich auch die Verletzungsgefahr." Das Dilemma ist zwar seit Jahren bekannt, aber die Konsequenzen sind noch zu ziehen.

Während der EM trafen sich die Spitzen der internationalen Verbände mit Vertretern von vier europäischen Topklubs, um über eine Entzerrung des Terminkalenders zu beraten. Konkrete Ergebnisse liegen nicht vor. "Die Interessenslagen sind zu konträr", fürchtet Löwen-Manager Storm, "es geht um zu viel Geld." Er selbst regt an, dass die Bundesliga den ersten Schritt geht: "Zwei Vereine weniger würden uns gut zu Gesicht stehen."