Hamburg. Nicht einen Moment, sagt Bertrand Gille, habe er darüber nachgedacht, jetzt nach Hause zu fahren, auch wenn er nicht mehr viel tun kann für seine Mannschaft. Die operierte Achillessehne schmerzt den HSV-Handballprofi noch immer oder, besser gesagt, schon wieder. Die Franzosen werden am Wochenende bei der Finalrunde der Europameisterschaft ohne ihren Weltklassekreisläufer auskommen müssen. "Für Hochleistungssport reicht es noch nicht", das ist Gilles Erkenntnis nach fünf mehr oder weniger kurzen EM-Einsätzen, "aber ich will dieses Abenteuer mit meinen Freunden zu Ende führen."

Freundschaft ist ein großes Wort, es scheint nicht zu passen zur bunten Bühne des Profisports, deren Hauptdarsteller immer schneller wechseln. Aber Gille besteht darauf: "Die meisten von uns spielen seit mehr als zehn Jahren zusammen. Da sind intensive Beziehungen entstanden, wir haben hochemotionale Momente gemeinsam durchlebt. Das bleibt ein Leben lang."

Es ist der Erfolg, der verbindet. Und es ist die Verbundenheit, die den Erfolg erst ermöglicht. Zweimal wurden die Franzosen in dieser Ära Weltmeister, einmal Europameister und 2008 Olympiasieger. Nur noch zwei Siege, beginnend mit dem Halbfinale gegen Island am Sonnabend (14 Uhr/DSF, 16.30 Uhr Kroatien - Polen, Finale Sonntag 17.30 Uhr), trennen sie vom historischen Tripel. Noch nie hatte ein Land gleichzeitig alle drei großen Titel inne.

Darüber aber redeten die Medien, nicht die Mannschaft, wie Gille versichert: "Ich wäre froh über jede Medaille. Die Spitze ist so eng beisammen, die Resultate so knapp, dass es schon ein Riesenerfolg ist, das Halbfinale zu erreichen." Aber er weiß auch, dass nur die Goldmedaille in der Heimat akzeptiert würde, weil kein anderes Team über so viel Begabung verfügt. Nikola Karabatic, Daniel Narcisse und auch Torwart Thierry Omeyer können ein Spiel nicht nur allein entscheiden, sie tun das auch regelmäßig. Und was noch erstaunlicher ist: Ihre Dominanz hat die 16 Freunde nicht erfolgsmüde werden lassen. Nur droht sie ihnen bisweilen zur Last zu werden. Gille sagt: "Wir haben das Gefühl, dass wir zu hohen Siegen verdammt sind."

In der Vorrunde schien es, als könnten die Franzosen daran zerbrechen: Gegen Tschechien gelang ein knapper Sieg, gegen Ungarn und Spanien reichte es nur zum Remis. Frankreich tat, was nötig war, mehr nicht. Die Mannschaft verließ sich auf die Kraft ihrer Individualisten und vergaß darüber das Zusammenspiel. Und sie zwang ihren Trainer Claude Onesta (52) damit, sich lautstärker einzubringen, als er es für gewöhnlich tut. "Wir haben bei ihm viele Freiheiten", sagt Gille, "aber er weiß, dass er sich auf uns verlassen kann."

Beim 29:24-Sieg im letzten Hauptrundenspiel am Donnerstag gegen die zuvor unbesiegten Polen machten sie dann erstmals ernst. "Das war ein sehr komplettes Spiel von uns", findet Gille. Was nicht ganz richtig ist: Er selbst saß auf der Tribüne.