Weil Lars Kaufmann und Holger Glandorf nur werfen und nicht passen, fehlt dem deutschen Handball-Angriff das Überraschungsmoment.

Innsbruck. Die Ruhmeshalle des deutschen Handballs ist an diesem Donnerstagmorgen im Hotel Grauer Bär in Innsbruck zu besichtigen. Stefan Kretzschmar, Daniel Stephan und Christian Schwarzer stehen in der Ecke des Seminarraums 1. Sie, drei herausragende Vertreter der goldenen Generation, sind als Beobachter zur EM nach Österreich gekommen. Sie stellen ihr Fachwissen den Medien zur Verfügung. Aber derzeit eint sie auch das Gefühl, dass ihre Hilfe gebraucht wird, dringender denn je.

Ihre Nachfolger stehen auf der anderen Seite des Raumes und geben Interviews, aber aus ihren Gesichtern spricht Ratlosigkeit. Sie sind mit einem 25:27 gegen Polen und einem 34:34 gegen Slowenien in das Turnier gestartet und müssen im letzten Gruppenspiel gegen Schweden heute (18.15 Uhr/ARD und www.abendblatt.de live) einen Punkt ergattern, andernfalls wäre Deutschland erstmals bei einer EM in der Vorrunde gescheitert. "Wir werden uns steigern müssen", hat Bundestrainer Heiner Brand gesagt. Es ist der Satz, der sich wie ein roter Faden durch die Vorbereitung und das Turnier zieht.

Mit "Wir" meint Brand seinen Rückraum, die Problemzone dieser Mannschaft. Kapitän Michael Kraus fehlt derzeit die Führungskraft. "Aber nicht nur der Spielmacher, alle Rückraumspieler sind für unser Angriffsspiel in der Verantwortung", stellt Brand klar. "Und da hatte ich mir mehr Konsequenz und Disziplin erhofft." Diese Hoffnung ruht auf einem Paar breiter und einem Paar schmaler Schultern. Die breiten gehören Lars Kaufmann.

Der Göppinger ist seit Langem bekannt für seine harten Würfe und neuerdings auch dafür, dass sie platziert sind. So ist es jedenfalls in der Bundesliga. Dort führt Kaufmann mit 124 Toren die Liste der besten Schützen an. Er hatte wesentlichen Anteil am Aufstieg der Göppinger auf Platz drei. Kaufmann (27) sagt, es läge daran, dass er von Vereinstrainer Velimir Petkovic das Vertrauen geschenkt bekomme, das bei seiner früheren Station in Lemgo gefehlt hatte.

Bei der EM muss er den Hamburger Pascal Hens ersetzen, den letzten großen Star, der dem deutschen Handball geblieben ist. Früher beschränkten sich seine Einsätze meist auf wenige Minuten. "Ich hatte nicht das Standing, mir mal zwei oder drei Fehlwürfe leisten zu können", sagt Kaufmann.

Nun darf er es wieder und wieder versuchen, denn eine echte Alternative hat Brand nicht. 13 Tore hat Kaufmann bei der EM gemacht. Doch er hat dafür 29 Würfe benötigt. Manchmal wäre es wohl besser gewesen, den Ball nach außen weiterzuleiten. "Unsere Außen sind auf die Unterstützung aus dem Rückraum angewiesen", mahnt Stephan. Aber Kaufmann ist das, was man im Handball einen Shooter nennt.

Das verbindet ihn mit Holger Glandorf, dem Schmalschultrigen. Auch er war 2007 Weltmeister, anders als Kaufmann füllte der Linkshänder schon damals eine tragende Rolle im rechten Rückraum aus. Es gab Zeiten, da traf Glandorf, wie er wollte. In denen niemand die Frage gestellt hat, die Kretzschmar nach dem Slowenienspiel stellte: "Warum machen bei den anderen Nationen die Außen die meisten Tore und bei uns die wenigsten?" Glandorf war nie einer, der sich darauf verstand, seine Nebenleute in Szene zu setzen. Dieses Dilemma tritt nun zutage, da ihm wie so vielen Lemgoer Spielern die einstige Sicherheit abhandengekommen ist. Er sagt: "Ich bin auch keine Maschine."

Es ist nicht abzusehen, ob Kaufmann und Glandorf, die beiden Halben im Rückraum, bei dieser EM mit Kraus oder dem zweiten Mittelmann Michael Haaß noch zu einem Ganzen zusammenwachsen. Das Spiel gegen Schweden ist dafür vielleicht die letzte Chance.