Der Ukrainer Vitali Klitschko (38) kämpft gegen Schwergewichtler Cristobal Arreola nicht nur um seinen WM-Titel, sondern auch um die Gunst der US-Boxfans.

Los Angeles. In Los Angeles führt sich auch die Sonne mitunter auf wie eine Hollywood-Diva. Aber selbst wenn sie sich ziert vom Himmel zu strahlen, wie an diesem dunstigen Mittag, bleibt Venice Beach so bunt wie auf den Postkarten. Denn was hier immer strahlt, sind die Menschen. Die schönen sind fit und funny, die schrillsten kurven auf den Rollschuhen über den Boardwalk. Und dann sind da noch die Starken.

"Muscle Beach" heißt das Mekka der Bodybuilder am Strand. In ihrer weltberühmten Freiluftarena der Selbstfolter stemmen sie ihre Gewichte. Doch jetzt treten den Stemmern von Venice die Augen erstmals nicht vor Anstrengung aus dem Kopf , sondern aus Ehrfurcht. Der stärkste Mann der Welt ist da.

Zwei Meter Mensch. Gefühlte zwei Tonnen Muckis. Der Schweiß seines Revuekörpers glänzt auch ohne Sonne. Ergriffen legen die Bodybuilder vom Muskelstrand die Hanteln nieder und schauen dieser imposanten Gestalt andächtig zu beim Seilhüpfen, Schattenboxen und den Liegestützen - und am Ende des Workouts hat Vitali Klitschko (38) das, was er in den USA braucht: ein paar Fans mehr.

"Ich bin froh", schwört er schon seit Tagen, "nach fast fünf Jahren endlich wieder in den USA zu boxen." Das ist das, was er den Amerikanern gar nicht oft genug erzählen kann. Sie brauchen es, und er auch - er ist zwar der WBC-Boxweltmeister im Schwergewicht, aber wenn man dieser Tage in Los Angeles einen US-Sportsfreund fragt, was ihm zum Thema Weltmeister im Schwergewicht einfällt, erinnert er sich an Dempsey, Louis, Marciano, Ali, Frazier und Foreman und fragt sich, was aus Mike Tyson geworden ist.

Klitschko? Nein, ein Ukrainer ist nicht direkt das, was den Amerikanern als Idealbesetzung vorschwebte, als sie vor langer Zeit den Heldengürtel der Königsklasse erfanden, und dass das Schwergewichtsboxen mittlerweile exklusiv von einer unschlagbaren Truppe Altsowjets beherrscht wird, macht das Leben für Vitali Klitschko nicht leichter. Wenn der sich in der Nacht zu Sonntag (4.30 Uhr, RTL live) im Staples Center den Lokalmatador Chris Arreola vorknöpft, ist die Frage des Abends weniger die, ob der Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln gleich in der ersten Runde oder erst später umfällt - wichtiger bleibt die Frage: Stemmt Klitschko Amerika?

Einmal hätte er es um ein Haar geschafft, an gleicher Stätte im Juni 2003 gegen Lennox Lewis. Es war der letzte Thriller im Schwergewicht, für den die Menschheit nachts noch freiwillig die Wecker stellte, und Klitschko war auf dem Weg zum Sieg, ehe nach der sechsten Runde seine linke Gesichtshälfte mit 63 Stichen restauriert werden musste. Die örtliche Presse in Los Angeles hat in den vergangenen Tagen an die tapfere Nacht Klitschkos würdig erinnert.

Schon seit Wochen befindet sich der Weltmeister in Los Angeles, und er hat die Zeit nicht nur für die Vorbereitung auf seinen 40. Kampf unter Trainer Fritz Sdunek gut genutzt, sondern auch für imagebildende Maßnahmen. Mike Tyson hat er getroffen und öffentlich eingeladen, Schauspieler Denzel Washington hat ebenso beim Training vorbeigeschaut wie Lamar Odom, der Basketballstar der Lakers, beim Kick der L. A. Galaxy gegen den FC Barcelona hat Klitschko die Platzwahl ausgeführt und von David Beckham ein Trikot mit Widmung geschenkt bekommen - und als Hausbesitzer im von Waldbränden bedrohten Bel Air hat der WBC-Champion der Feuerwehr tausend Freikarten für den Kampf gestiftet. Vitali Klitschko macht alles richtig vor diesem Kampf. Der Showdown ist perfekt.

Wie an diesem dunstigen Mittag in Venice Beach, wo sich "Doktor Eisenfaust" und "Mister Stahlhammer" die Arbeit brüderlich teilen. Bruder Wladimir (33), Champion der Konkurrenzverbände WBO und IBF, moderiert das Geschehen geschmeidig, während Vitali eine letzte Demonstration seines breitgefächerten Trainings vorführt - und die wohlwollende Reaktion des Publikums spricht einmal mehr dafür, dass Muscle Beach als Ausgangspunkt ein gutes Omen ist für ehrgeizige Muskelmänner.

Dass Klitschko gewinnen wird, steht für alle außer Frage, und falls er auch noch ein Spektakel hinkriegt, kann womöglich sogar der Amerikaner als solcher immer mehr mit ihm anfangen, was ein netter Plausch nach der letzten Pressekonferenz belegt. "Vitali", fragt im Weggehen ein US-Reporter den Zweimetermann, "ist deine Länge der große Vorteil?" Klitschko wiegt unentschlossen den Kopf hin und her, ehe er antwortet: "Es gibt Frauenzeitschriften, die behaupten, die Länge sei nicht entscheidend." Der US-Reporter entkommt ob dieser Schlagfertigkeit nur knapp einem Schreikrampf. Und schon hat Vitali Klitschko wieder einen mehr gewonnen bei seinem Ziel, Amerika doch noch zu erobern.