Die Hamburger demütigen ihren Gegner eine Halbzeit lang - und lassen ihn in der anderen ein bisschen zu sehr mit spielen.

Hamburg. Als die Halbzeitsirene ertönte, hob Guillaume Gille auf dem Weg in die Kabine noch einmal den Blick in Richtung Anzeigetafel. Was der Kapitän der HSV-Handballer dort lesen konnte, hinterließ bei ihm eine Mischung aus Befriedigung und Verwunderung. "Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass wir so hoch führten", bekannte Gille später. Das 24:11 aus Sicht der Hamburger war mehr als eine klare Führung - es war eine Vorführung. Nur beim 43:16-Sieg über den Stralsunder HV, mit dem der HSV seinen eigenen Bundesliga-Rekord aus der Saison 2007/08 (44:17 gegen Wilhelmshaven) egalisierte, hatte der Klub einen größeren Vorsprung mit in die Pause genommen. Es war der bis dato letzte Auftritt des Vizemeisters in der Color-Line-Arena gewesen, ein sportlich bedeutungsarmes Match gegen einen desolaten Absteiger.

Am Sonnabend nun waren die Hamburger nach mehr als drei Monaten Pause zurück in ihrer sportlichen Heimat. Der Gegner hieß MT Melsungen, eine Mannschaft, die den sportlichen Riesen aus Hamburg in der Vorsaison zweimal ziemlich klein aussehen ließ. Aber daran erinnerte bei dieser Heimpremiere nichts mehr. Sie war ein umjubelter Erfolg, auch wenn er am Ende mit 38:26 glimpflich ausfiel.

Auch in Gilles Selbstbetrachtung hat es "teilweise sehr gut ausgesehen". Der Ball lief höchst ansehnlich durch die Reihen, die offensive 3-2-1-Deckung stand fast lückenlos, Torwart Johannes Bitter oft goldrichtig. Ganze drei Versuche brachten die Hamburger nicht ins Ziel, was einer Erfolgsquote von 89 Prozent ergibt. "Dass jeder Wurf sitzt, ist auch nicht normal", ist sich Trainer Martin Schwalb bewusst.

Zu klären wäre, ob die zweite Hälfte näher an der Normalität war als die erste. Die Melsunger seien "sicher ein bisschen sauer" gewesen, vermutete Gille. Und natürlich sei es schwierig gewesen, die Effektivität auf diesem Niveau zu halten. Vielleicht wollten sich einige Kraft und Konzentration für das richtungweisende Spiel bei den Rhein-Neckar Löwen am kommenden Freitag aufsparen, von dem Gille sagt, dass es "ein Riesentest" ist, weil der HSV bei den Mannheimern noch nie sonderlich gut ausgesehen habe. Was auch immer der Grund für den Leistungsabfall war, Präsident Andreas Rudolph ließ keinen gelten: "Wenn man sieht, wie dominant wir in der ersten Halbzeit waren, dann erwarte ich, dass man das über 60 Minuten durchzieht."

Sein Trainer war "mit der zweiten Halbzeit zumindest nicht gänzlich unzufrieden". Man könne nicht erwarten, eine gefestigte Mannschaft wie Melsungen mit 30 Toren Differenz aus der Halle zu fegen. Schwalb hatte den Komfort der turmhohen Führung auch dazu genutzt, das taktische Repertoire unter Wettkampfbedingungen zu testen. Seinen wieder einmal unfehlbaren Kreisläufer Igor Vori (sechs Tore aus sechs Versuchen) setzte er fortan nur noch im Angriff ein, brachte mit Domagoj Duvnjak auch den zweiten kroatischen Stareinkauf zum Einsatz und stellte die Abwehr auf das konservative 6-0-System um.

Die Melsunger durften nun mitspielen - mehr aber eigentlich auch nicht, auch wenn ihr neuer Trainer Ryan Zinglersen hinterher von einer "gewonnenen Halbzeit" sprach. Seine Mannschaft ist nun Tabellenletzter, darf aber hoffen, das Schlimmste hinter sich zu haben. Zum Auftakt hatte es eine deftige 25:35-Heimniederlage gegen Titelverteidiger THW Kiel gegeben. "Wir haben gleich gegen die beiden größten Mannschaften Deutschlands gespielt", sagte Zinglersen. Er sollte es beurteilen können.

Tore, Hamburg: M. Lijewski 8, Vori 6, Lindberg 6 (5 Siebenmeter), Schröder 4, Lackovic 4, Jansen 3, G. Gille 3, Duvnjak 2, K. Lijewski 1, Flohr 1; Melsungen: Vasilakis 6 (2), Junillon 5, Klitgaard 5, Karipidis 3 (3), Sanikis 2, Tellander 2, Vuckovic 2, Schöngarth 1. Schiedsrichter: Schulze/Tönnies (Magdeburg/Dodendorf). Zuschauer: 8183. Zeitstrafen: 1; 2.