Jedes Kilo weniger zählt im Duell der beiden derzeit weltbesten Hochspringerinnen. Respekt prägt das Verhältnis der Rivalinnen.

Berlin. Wer Blanka Vlasic am Dienstag auf Augenhöhe begegnet, und das können schon wegen ihrer 1,93 Meter nicht viele von sich behaupten, der sieht zunächst einmal sich selbst. Mit einer voll verspiegelten Sonnenbrille in modischer Übergröße ist die Hochspringerin zu ihrem Qualifikationswettbewerb ins Berliner Olympiastadion gekommen. Als wollte sie sehen und nicht gesehen werden. Aber natürlich schauen jetzt alle auf sie, und natürlich nimmt Vlasic das Accessoire ab, bevor sie viermal locker über die Latte floppt.

Ariane Friedrich hat auch eine Sonnenbrille. Ein sportliches Modell. Friedrich benutzt sie auch zum Springen, außer wenn es dunkel ist. Bei ihrem Satz über 1,95 Meter, ihrem ersten und einzigen in dieser Qualifikation, fliegt ihr die Brille von der Nase. Als sich die Kontrahentinnen später umarmen, sind die Sonnenbrillen wieder auf. Dann gehen beide ihrer Wege.

Man kommt kaum umhin, über Äußerlichkeiten zu sprechen, wenn es um das große Duell der großen Frauen dieser Weltmeisterschaften geht. Äußerlichkeiten spielen eine Rolle in der Leichtathletik. Die Körpergröße zum Beispiel: Vlasic, die kroatische Titelverteidigerin, misst 14 Zentimeter mehr als ihre deutsche Herausforderin. Vlasic gibt ihr Gewicht neuerdings mit 70 Kilogramm an, Friedrich mit 57,5. Der Boulevard fragte sich, ob Deutschlands Vorzeigeathletin magersüchtig sei.

Ariane Friedrich (25) hat schnell lernen müssen, was es heißt, ein Star zu sein. Ihr Höhenflug gleicht dem eines Kometen, ein steiler Aufstieg. 2004 gewann sie zum ersten Mal die deutsche Meisterschaft. Doch erst im vergangenen Jahr gelang ihr in Berlin der erste Zweimetersprung ihrer Karriere im Freien, inzwischen sind es über 20. Bezeichnend ist, dass damals trotzdem Vlasic gewann. Es war ihr 25. Erfolg in Serie.

Die Weltmeisterin aus Split ist nur zwei Monate älter, aber schon viel länger in der Weltspitze zu Hause, gewissermaßen. Ihr Vater Zolko hält noch immer den Landesrekord im Zehnkampf. Sie selbst war gerade 16, als sie Juniorenweltmeisterin wurde. Und als Vlasic vor zwei Jahren im japanischen Osaka mit 2,05 Metern den Titel bei den Frauen gewann, da hatte sich Friedrich gerade auf 1,94 Meter gesteigert. Vlasic pflegt einen gelasseneren Umgang mit der Öffentlichkeit als Friedrich, die vor ihrer Heim-WM abgetaucht ist. Sie verlässt sich vor allem auf ihre Sprungkraft, während Friedrich anscheinend auch die Inszenierung wichtig ist. Die Frankfurterin findet Gefallen daran, die Konkurrenz wie in der Qualifikation zu beeindrucken, als sie mit der geforderten Höhe einstieg.

Aber auch Blanka Vlasic hat lernen müssen in den vergangenen Jahren. Vor allem wie es ist zu verlieren. Zu den Olympischen Spielen in Peking 2008 kam sie als haushohe Favoritin. Sie sprang 2,05 Meter, doch das schaffte die belgische Außenseiterin Tia Hellebaut auch und schnappte ihr die Goldmedaille weg. Bei der Europameisterschaft 2006 wurde sie mit 2,01 Metern Vierte - nie zuvor war eine Frau so hoch gesprungen, ohne eine Medaille zu gewinnen. Und in Brüssel 2008 kostete sie die Niederlage gegen Friedrich 500 000 Euro - es wäre ihr Anteil am Millionenjackpot der Golden League gewesen.

Vlasic hat die Erlebnisse mithilfe eines Psychologen aufgearbeitet. Und zuletzt in Monaco hat sie, nach fünf Niederlagen in Serie, die höhengleiche Friedrich endlich wieder besiegt. "Das hat gezeigt, dass sie auch verlieren kann", sagt Friedrichs Trainer und Manager Günter Eisinger. Aber Sorgen, nein, Sorgen macht sich Ariane Friedrich nicht: "Ich wüsste nicht warum?" Bei Vlasic klingt es so: "Warum sich Sorgen machen?"

Im Stolz, den sie zur Schau tragen, sind sich die beiden Hochsprung-Hoheiten plötzlich recht ähnlich. Beide respektieren einander. Sie reden nicht gern über die andere, aber sie sind Profi genug, um zu wissen, dass die Rivalität gut für den Marktwert ist. "Ich hatte sehr viel Promotion für mich", sagt Friedrich, "aber das hatte ich durch meine Leistung." Es sei schön, wenn heute ab 19.10 Uhr im Finale das ganze Land hinter ihr stehe. Aber eines ist ihr wichtig: "Ich springe und kämpfe nur für mich, nicht für die Nation."

Sie will nicht wie in Peking am Druck zerbrechen. Damals scheiterte sie an 1,99 Meter, ihr blieb nur Platz sieben. "Aber lassen Sie uns nicht über Peking reden", bittet Friedrich, das Kapitel sei abgeschlossen. Lieber redet sie über Berlin. Erst vor zwei Monaten ist sie beim Istaf mit 2,06 Meter deutschen Rekord gesprungen. Vlasic wurde Zweite. Eine Sonnenbrille trug die Kroatin damals übrigens nicht.