Der Olympiasieger verbesserte seine Bestmarke um elf Hundertstel. Tyson Gay wird Zweiter, Asafa Powell Dritter.

Berlin. "Let's Get Loud", tönte aus den Lautsprechern im Olympiastadion, aber diese gesangliche Aufforderung von Jennifer Lopez war aus zweierlei Gründen völlig überflüssig. Zum einen, weil das Publikum ohnehin tobte wie von Sinnen. Und zum anderen, weil die Musik in der Lautstärke hoffnungslos unterging. Der Jubel der 60 000 Berliner Fans war die musikalische Untermalung zu einer Show, wie sie die Leichtathletik noch nie gesehen hat. Es war die große Show des Usain Bolt (22).

Er war die 100 Meter in 9,58 Sekunden gerannt - so schnell wie noch nie ein Mensch zuvor. Wobei nach diesem Lauf die Frage erlaubt sein muss, ob wir es hier noch mit einem Normalsterblichen zu tun haben. Neun Komma fünf acht. Er hat damit den Weltrekord, seinen eigenen vom Olympiasieg in Peking (9,69), um mehr als eine Zehntel verbessert, oder besser: Er hat ihn zerschmettert. "Ich wusste, dass ich meinen Weltrekord verbessern könnte, aber hier bei der WM hatte ich das nicht unbedingt erwartet. Eine großartige Zeit, aber ich habe mich auch sehr gut gefühlt", meinte Bolt.

Der gestrige Abend wird entweder als Beginn einer neuen Zeitrechnung im Sprint in die Geschichte eingehen - oder als beispielloser Sportbetrug. "Ein großer Anteil gebührt den Zuschauern", sagte Bolt später artig. All seinen Konkurrenten bleibt der Trost, dabei gewesen zu sein bei dieser gigantischen Show, wenn auch nur als bessere Statisten. Man kann Tyson Gay wahrlich nicht vorwerfen, er habe es nicht verhindern wollen. Der Titelverteidiger und Herausforderer wurde Zweiter mit 9,71, einer Zeit, die noch vor einem Jahr Weltrekord bedeutet hätte und nun nicht mehr als ein US-Rekord ist. "Exzellent, exzellent, ich bin froh, in diesem Lauf dabei gewesen zu sein. Aber mein Ziel ist weiter der Weltrekord", sagte Gay. Asafa Powell, Bolts Vorgänger als Weltrekordler, reichten 9,84 gerade mal zu Bronze. Doch es war seine erste wichtige Medaille, und deshalb tanzte der Jamaikaner anschließend mit seinem Landsmann Bolt ausgelassen über die Bahn.

Wohin Bolts Zeit-Reise gehen könnte, davon hatten bereits die ersten Runden eine Ahnung vermittelt. Den Vorlauf (10,20) hätte er wohl auch im Rückwärtsgang gewonnen. In der Zwischenrunde (10,03) sahen er und sein Trainingspartner Daniel Bailey aus wie zwei Jogger im Stadtpark, und man wunderte sich eigentlich nur, dass die beiden dabei nicht anfingen, übers Wetter zu reden. Ins Finale trabte Bolt in 9,89 im Energiesparmodus, während Gay sich in 9,93 Sekunden vergleichsweise verausgaben musste.

Ob es an den Leistenschmerzen lag, über die er nach dem Vorlauf geklagt hatte? Möglich, dass der entthronte Champion damit nur vorbauen wollte für den absehbaren Fall seines Sturzes. Jedenfalls wirkte der US-Amerikaner bei seinen Auftritten manchmal, als hielte ihn jemand an einem unsichtbaren Zügel fest - sofern man bei drei Läufen unter zehn Sekunden davon sprechen kann. Es sind, das darf man sagen, nicht seine Weltmeisterschaften. Sie können es noch werden. Über 200 Meter am Donnerstag und mit der Sprintstaffel am Sonnabend hat Gay zwei weitere Titel von Osaka 2007 zu verteidigen. Man müsste nach den ersten Eindrücken aber fast von einer Sensation sprechen, sollte ihm im Duell mit Bolt jemals der Ausgleich gelingen.

Die schnellsten Deutschen waren schon am Vortag aus dem Rennen, was DLV-Vizepräsident Eike Emrich zu der Aussage veranlasste, man müsse die Arbeit in dieser Disziplin "optimieren". Der deutsche Meister Tobias Unger aus Kornwestheim zeigte sich in 10,42 Sekunden mit der Situation genauso überfordert wie Stefan Schwab aus Schwarzenbek (10,50). Einzig Martin Keller überstand in persönlicher Bestleistung von 10,35 den Vorlauf. Im Zwischenlauf waren seine 10,40 allerdings zu wenig.