Franka Dietzsch wurde dreimal Weltmeisterin (1999, 2005, 2007) und 1998 Europameisterin. In Berlin greift sie wieder an...

Berlin. Abendblatt: Frau Dietzsch, wann haben Sie sich zuletzt die Videos Ihrer drei WM-Siege angeschaut?

Franka Dietzsch: Das ist schon ein paar Wochen her, vor den deutschen Meisterschaften. Ich habe mir sie regelmäßig angeschaut. Zum einen, weil es schöne Erinnerungen sind. Zum anderen frage ich mich jedes Mal: Was hast du da bloß anders gemacht als heute?

Abendblatt: Was könnte das sein?

Dietzsch: Ich bin nicht dahintergekommen. Es ist wie verhext. Eigentlich läuft alles sehr gut. Nur die Drehung will noch nicht so, wie ich es will. Wenn es eine Weltmeisterschaft im Standwerfen gäbe, würde ich wahrscheinlich ganz gut aussehen.

Abendblatt: Haben Sie eine Erklärung?

Dietzsch: Ich hatte über Jahre gesundheitliche Probleme, da hat sich wohl etwas in den Kopf eingeschlichen. Vielleicht stellt sich auch der Körper ein bisschen quer. Der wehrt sich noch - aber nicht mehr lange.

Abendblatt: Brauchen Sie die alten Filme zur Motivation?

Dietzsch: So etwas kann auch zur Last werden. Mein Trainer Dieter Kollark ist erfolgsverwöhnt, ich bin es auch geworden. Mir reicht eigentlich kein achter Platz. In diesem Jahr wäre es schon ein Höhepunkt, die Qualifikation zu überstehen.

Abendblatt: Vor Olympia in Peking 2008 war die Ausgangslage ähnlich, und sie sind erst gar nicht hingefahren.

Dietzsch: Wären die Weltmeisterschaften in Übersee, sähe die Sache auch anders aus. Den Stress mit dem Fliegen und der Zeitumstellung wollte ich mir damals einfach nicht antun. Mit der Entscheidung bin ich nach wie vor glücklich.

Abendblatt: Obwohl es mutmaßlich die letzte Chance auf eine olympische Medaille war. Haben Sie mit Olympia inzwischen Ihren Frieden geschlossen?

Dietzsch: Ja. Was soll's? Ich sage mir: Es gibt andere wichtige Dinge auf der Welt, dagegen ist ein Olympiasieg gar nichts. Für mich sind die drei WM-Titel und der eine EM-Titel mehr, als mir vor 20 Jahren irgendjemand zugetraut hätte. Mein erster Trainer nicht, mein zweiter nicht, nur der Herr Kollark ...

Abendblatt: Er hat Ihr Talent ...

Dietzsch: Ich habe kein Talent! Fragen Sie Herrn Kollark: Astrid (Kumbernuss, Kugelstoß-Olympiasiegerin 1996 - die Red. ) und ich haben kein Talent!

Abendblatt: Also gut: Er war der Erste, der trotz fehlenden Talents an Sie geglaubt hat?

Dietzsch: Meinem zweiten Jugendtrainer war es sehr wichtig, dass ich weit werfe, aber nicht, dass ich vernünftig werfe. Meine Technik war katastrophal. Als ich 1991 nach Neubrandenburg kam, hat Herr Kollark gesagt: Um Gottes willen, wie wirfst du?! Ohne ihn hätte ich nicht so lange Leistungssport machen können, weil der Verschleiß zu groß gewesen wäre.

Abendblatt: Womit wären Sie zufrieden in Berlin?

Dietzsch: Ach, ich würde schon gern im Finale sein.

Abendblatt: Ein bescheidener Anspruch für eine Titelverteidigerin.

Dietzsch: Soll ich sagen ich will Weltmeisterin werden? Da tippen Sie sich doch an den Kopf: Die hat sie nicht mehr alle, bei 59 Metern, die sie durchschnittlich in ihren Wettkämpfen wirft.

Abendblatt: Um es mal positiv zu sehen: Sie können die Sache ganz locker angehen.

Dietzsch: Da ist das Problem wieder: Wenn man dreimal ganz oben stand, will man ein bisschen mehr. Auch allen zeigen, dass es im höheren Alter noch geht.

Abendblatt: Wundern Sie sich manchmal selbst, dass Sie mit 41 immer noch dabei sind?

Dietzsch: Ja. Ich glaube, dass ich in den sogenannten Zubringerleistungen - Kraft, Wurf - viel besser bin als viele Konkurrentinnen. Leider kann ich es nicht umsetzen. Ansonsten bin ich gesund wie in den letzten Jahren nicht. Für die Regeneration braucht man mit 41 allerdings etwas mehr Zeit. Deshalb bin ich von meiner Arbeit in der Bank auch freigestellt.

Abendblatt: Es ist Ihre zehnte Weltmeisterschaft, das ist deutscher Rekord. Ist das nicht genauso viel wert wie eine Medaille?

Dietzsch: Ja, und das muss hier mal rein (tippt sich an den Kopf). Es sind ja nicht viele, die das geschafft haben.

Abendblatt: Fühlt sich diese WM anders an als die anderen neun?

Dietzsch: Natürlich. Ich durfte ja 1993 in Stuttgart schon einmal eine WM im eigenen Land mitmachen. Es war der Hammer. Das zum Abschluss noch einmal erleben zu dürfen, mit Freunden, Bekannten, Familie und so weiter, ist schon etwas Besonderes.

Abendblatt: Sie haben alle mit Karten versorgt?

Dietzsch: Die wissen, dass ich gar nicht möchte, dass sie ins Stadion kommen. Die Einzige, die sich daran hält, ist meine Mutti. Sie will sich das immer ganz in Ruhe zu Hause anschauen.

Abendblatt: Wird die WM der deutschen Leichtathletik einen Schub geben?

Dietzsch: Ich glaube nicht, dass es einen großen Run auf die Vereine geben wird. Leichtathletik ist da doch etwas anderes als eine Mannschaftssportart, jeder kämpft für sich allein. Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass sich nach meiner Karriere ein paar andere für den Wurfbereich interessieren.

Abendblatt: Sie müssen doch weitermachen!

Dietzsch: Anfang des Jahres lief es tatsächlich so gut, dass ich sagte: Warum soll ich aufhören? Jetzt fehlen ein paar Meter.

Abendblatt: Kommen denn keine Talente nach?

Dietzsch: Wenige. Es ist so schade, wir hätten in diesem Jahr mit vier Frauen an den Start gehen können, weil ich vor zwei Jahren einen zusätzlichen Startplatz erkämpft hatte.

Abendblatt: Bei den letzten großen Titelkämpfen haben immer die Werferinnen die Kastanien für die Deutschen aus dem Feuer geholt. Fehlt die Wertschätzung?

Dietzsch: Ja, und das ist leider normal in der Leichtathletik. Wenn ich daran denke, wie bei Wettkämpfen mit uns Werfern umgegangen wird, bekomme ich einen dicken Hals. In Wattenscheid Anfang August wurde kein einziger Werfer vorgestellt. Und was für mich das Allerletzte war: Der Wettkampf zog sich unendlich in die Länge. Es wurde schon unterbrochen, wenn sich die Läufer gerade mal das Hemd auszogen. Hochspringer und Stabhochspringer durften weiterspringen, und wir Werfer standen da wie Idioten. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich nicht meine Sachen gepackt habe und gegangen bin. So einen Wettkampf muss ich mir nicht noch mal antun. Finanziell lohnt es sich, gemessen am Aufwand, auch nicht unbedingt.

Abendblatt: Kann man mit Diskuswerfen gut verdienen?

Dietzsch: Wenn ich sehe, was unsere erfolgreichen Kanuten in Neubrandenburg verdiene, kann ich mich wirklich nicht beklagen. Andererseits: Als dreimalige Weltmeisterin im 100-Meter-Sprint stünde ich heute finanziell auch anders da.

Abendblatt: Die Russin Natalia Sadowa, eine der Favoritinnen auf Gold, war zwei Jahre wegen Dopings gesperrt. Wie finden Sie, dass sie wieder dabei ist?

Dietzsch: Nicht nur sie. Wobei man bei Natalia wissen muss: Es ist nicht das erste Mal. Ihre WM-Goldmedaille von 2001 in Edmonton wurde ihr später wegen eines zu hohen Koffeinwerts aberkannt. Aber was soll ich machen? Natürlich kotzt mich an, dass sie wieder da sind. Aber man kann ja nicht alle lebenslang sperren, sonst ist man bald allein am Start. Und natürlich will der Zuschauer auch gute Weiten sehen.

Abendblatt: Glauben Sie an einen sauberen Wettkampf in Berlin?

Dietzsch: Sagen wir so: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen Dopingfall gibt. Was auffällt, ist dass viele Athleten am Jahresanfang dabei sind, dann für eine gewisse Zeit von der Wettkampfbühne verschwinden und zum Höhepunkt wieder da sind.

Abendblatt: Ihr Trainer hat mich dringend davor gewarnt, Sie zu fragen, was nach der WM ist.

Dietzsch: Das ist gut, Sie sollten sich daran halten!

Abendblatt: Und wenn ich doch frage?

Dietzsch: Ich weiß es nicht. Ich habe mich hier in Kienbaum schon von einigen aus der Nationalmannschaft verabschiedet, habe Fotos gemacht. Ich bin ja doch ein ziemlich sentimentaler Mensch.