Er ist der schnellste Mann der Welt, Weltrekordler über 100 und 200 Meter. Felix Lill besuchte Bolt beim Training auf Jamaika.

Als "Lightning Bolt" einige Längen auf dem kaum gemähten Platz gelaufen ist, verlässt er den Acker und steigt die kleine Tribüne am Fuß der Sportanlage hinauf. Oberschenkel und Waden lässt er sich massieren. In der Zwischenzeit läuft sein jüngerer Bruder Sadeeki weiter und übt sich in Sprints. Zum Schluss der Trainingseinheit wird es ein brüderliches Kräftemessen geben; ein Duell, von dem jeder gewöhnliche Jamaikaner und fast jeder Athlet der Welt seit rund einem Jahr nur träumen kann. Der Hobbysportler Sadeeki trainiert hin und wieder mit seinem Bruder Usain, einige Male auch während der Vorbereitung für die Leichtathletik-WM in Berlin. Der Bekanntere der beiden Bolts glaubt nicht, dass sein Training dadurch leidet. Er laufe einfach so schnell er kann, egal, wer noch dabei sei.

In Erinnerung an die Olympischen Spiele 2008 in Peking sind die Erwartungen an Bolt hoch: Kann er jenen Lauf wiederholen, als er auf 100 Metern während der letzten 15 das Tempo drosselte und trotz offenem Schuh locker einen Weltrekord lief? "Ich hätte schneller laufen können", sagt Bolt am Rand des Trainings. Die Konkurrenz in Peking schwankte zwischen Bewunderung und Misstrauen, der junge Sprinter hatte neben dem Weltrekord auf 100 Metern auch noch den auf 200 verbessert und Gold in der Staffel geholt. Ob diese Leistung ohne Doping möglich ist, wird bezweifelt. 2008 wurde Bolt siebenmal negativ getestet - was bekanntlich wenig aussagekräftig ist. Aber er sorgte international nicht zum ersten Mal für Verwunderung.

2002 rannte Usain Bolt als 15-Jähriger zu seinem ersten Weltmeistertitel als Junior, im Jahr darauf verbesserte er sich um 33 Hundertstel und lief damit schon auf Augenhöhe der erwachsenen Elite in vielen Ländern. Bis heute ist er der einzige Junior, der die 200 Meter unter 20 Sekunden laufen konnte. Mit seinen sportlichen Leistungen hätte der Sohn einer einfachen Familie aus dem Hinterland Jamaikas an fast jeder US-Eliteuniversität mit Stipendium studieren können, zog es aber vor, sich in Jamaika auf seinen Sport zu konzentrieren. Nach seinem High-School-Abschluss schrieb Bolt sich an der University of Technology in Kingston ein, um Business zu studieren. Zwei Jahre lang machte er das, eine Bankkarriere strebte er eigentlich an, saß aber mehr in der Umkleidekabine als im Vorlesungssaal.

Nach enttäuschenden Olympischen Spielen in Athen 2004 erreichte Bolt den Endlauf bei der WM in Helsinki, 2007 brach er den Landesrekord während des Athletissima Meetings in Lausanne. Ab 2008 war der 1,96 Meter große Sprinter kein Geheimtipp mehr: Nach einer Silbermedaille hinter Tyson Gay bei der WM 2007 in Osaka unterbot Bolt den Weltrekord auf 100 Meter mit 9,72 Sekunden. Das passierte im Mai 2008 in New York. Und dann kam Peking im August: Drei Goldmedaillen, drei neue Weltrekorde. Er stellte alle Sprinter, die es je gegeben hatte, in den Schatten.

Bolt wurde zum Megastar, trägt mittlerweile den nationalen Auszeichnungsorden und ist vor allem das Idol der Jamaikaner, ob diese sportlich sind oder nicht. Als Erster konnte er olympisches Gold in der Sprintdistanz auf die Karibikinsel holen. Die gebürtigen Jamaikaner Ben Johnson und Donovan Bailey waren für die USA und Kanada gestartet, Linford Christie für die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien. Bolt hingegen trainiert in und siegt für Jamaika. Wissend, dass er schon früh hätte auswandern können, schätzen seine Landsmänner die Bodenständigkeit des Sprinters. "Ich siege für mein Land, was andere Sprinter machen, ist mir egal", kaut er in breit gezogenem Englisch und schwarzen Pumashorts mit jamaikanischer Flagge an den Seiten, als er von seiner Bank aufsteht. Die Massage ist vorbei, er trabt wieder langsam an.

Sein Trainer Glen Mills sieht es nicht gern, wenn Journalisten die Sportanlage von Kingstons University of the West Indies besuchen, um Bolt beim Training aufzulauern. Mit dem Sprinter zu sprechen ist ohnehin nicht einfach. Seine demonstrative Coolness mündet in Wortkargheit, zudem ist er seit Peking 24 Stunden am Tag von zwei Bodyguards umgeben. Trainer Mills scheint grundsätzlich auf keine Medienanfragen mehr zu reagieren, zumindest wenn es um seinen Schützling geht, antworten seine Sekretärinnen, er sei gerade nicht im Büro. "Im letzten Jahr hat die Anzahl der Medienanfragen so sehr zugenommen, dass Usain vor Werbe- und Medienterminen fast nicht mehr zum Trainieren kommt. Manchmal geht ihm schon etwas Lockerheit verloren", sagt Manager Norman Peart. "Die Menschen wollen ihm meist nur Gutes", schätzt Patrae Rowe, einer von Bolts Bodyguards und gelernter Polizist, "Paparazzi und aufdringliche Fans sind aber inzwischen so häufig geworden, dass wir uns um Usains Privatsphäre sorgen müssen."

Bolt selbst sieht den Trouble um seine Person gelassen. Entgegen Vermutungen will er in Jamaika bleiben. Hier habe er Familie, Freunde und Freundin, und das Wetter sei "immer in Ordnung". "Die Trainingsbedingungen mögen anderswo besser sein, aber für Weltrekorde reicht es hier", schmunzelt er. Die meisten Einheiten in der Woche trainiert er auf einem Kricketrasenfeld. "Tartan nur, wenn es sein muss", sagt er, "bei Wettkämpfen und so." Das Rasenfeld sei ihm ohnehin am liebsten, als Kind wollte er Kricketprofi werden, ehe sein Vater Wellesley ihn zur Leichtathletik brachte. "Das war eine gute Entscheidung von ihm. Beim Kricket hätte ich nie so viel Geld verdient."

Finanziell hat Bolt in den vergangenen Jahren abgeräumt. Der erste Vertrag wurde 2002 mit dem Sportartikelhersteller Puma geschlossen, Profi ist er seit 2004. Neben Digicel, einem der größten Mobilfunkanbieter in der Karibik, hat Bolt seit Ende 2008 einen Werbevertrag mit dem Souvenirartikelhersteller Sun Island Jamaica, der Bolts Gesicht und Namen nutzen darf, um den europäischen Markt zu erschließen. Dass der Fan schneller Autos ein Geschenk von Puma, einen BMW M3, Ende April zu Schrott fuhr, war finanziell verkraftbar: Mitte Mai lief Bolt bei einem Straßenrennen in Manchester Weltrekord über 150 Meter (14,35 Sekunden). Auch die jüngsten Erfolge stimmen die Sponsoren zuversichtlich für die WM: In Lausanne gewann Bolt am 7. Juli die 200 Meter in 19,59 Sekunden, der viertschnellsten Zeit der Geschichte. Zehn Tage später siegte er beim Golden-League-Meeting in Paris bei Gegenwind und Regen über 100 Meter in 9,79 Sekunden, vor 13 Tagen bei ähnlich widrigen Bedingungen in London in 9,91 Sekunden.

Alles außer Gold wäre bei der WM eine Enttäuschung, nervös wirkt Bolt aber nicht. Gerade hat er seinen hoch motivierten Bruder Sadeeki locker auf der Zielgeraden überholt und mit rund vier Metern Vorsprung geschlagen. Ein bisschen wie 2008 in Peking, mit dem Unterschied, dass die Gegner andere waren. Die Trainingseinheit ist vorbei. Bolt streift sein T-Shirt ab, der Brustkorb vibriert noch. Provokant locker nickt er: "Ich arbeite daran, dass die Leute mich zu Recht lieben. Am besten gewinne ich einfach. Ich will so viele Titel wie möglich gewinnen." In Berlin wird Bolt über 100 und 200 Meter gegen Weltmeister Tyson Gay antreten. Ist Bolts Bruder Sadeeki ein angemessener Trainingspartner? "Ja gut, der schnellste Mann der Welt bin ich." Nach den letzten lässigen Worten nimmt er eine Trinkflasche in die Hand und geht halb nackt mit langen Schritten in Richtung Kabine.

Mag Bolts Training auch locker anmuten, ist zu erinnern: Die 100 Meter von Peking gewann der Jamaikaner gegen seinen Landsmann Asafa Powell, der vorher den Weltrekord gehalten hatte. Auch vor Peking trainierte Bolt schon auf Rasen, manchmal gegen seinen kleinen Bruder.