Er wollte “jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser machen“. Doch nach 302 Tagen mit Jürgen Klinsmann als Trainer war bei Bayern München kein Fortschritt erkennbar, im Gegenteil. Die Chronologie eines Scheiterns.

München. Nach exakt 302 Tagen ist Jürgen Klinsmann beim deutschen Fußball-Rekordmeister Bayern München gescheitert. Der ehemalige Bundestrainer hatte seine erste Amtszeit als Vereinscoach in München bereits einen Tag vor seinem offiziellen Vertragsbeginn am 30. Juni 2008 begonnen und leistete sich eine vollmundige Ankündigung, die ihm seither vorgehalten wird. Jeden Spieler jeden Tag besser machen, hatte sich Klinsmann vorgenommen.

Nach dem Viertelfinal-Aus in Champions League und DFB-Pokal sowie der drohenden Gefahr, in der Bundesliga nicht nur den Meistertitel, sondern auch die Qualifikation für die Königsklasse zu verspielen, zogen Manager Uli Hoeneß und Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge am Montag zwei Tage nach der 0:1-Heimniederlage gegen Schalke 04 und nach langem Zögern die Reißleine. Klinsmann darf sich nicht mehr an dem Experiment versuchen. Eine Chronologie des Scheiterns.

11. Januar 2008: Es ist eine Sensation. Jürgen Klinsmann wird Trainer bei Bayern. Im Sommer wird er Ottmar Hitzfeld ablösen. Im Unfrieden als Spieler von den Münchner einst geschieden, soll er den deutschen Vorzeige-Klub mit Reformen zurück in Europas Spitze führen. Zweifel an dem Experiment bestehen von Beginn an.

5. Mai 2008: Klinsmann gibt Einblicke in sein Konzept: One-Touch-Fußball, ein schnelleres Spiel, geballte Offensive. "Eindrucksvoll", sagt Franz Beckenbauer. Klinsmann war und ist Stürmer.

30. Juni 2008: Trainingsauftakt. Einen Tag vor Klinsmanns offiziellem Vertragsbeginn. 600 Fans sind gekommen. Das neue Leistungszentrum wirkt imponierend. "Es kribbelt", sagt Klinsmann. Bei ihm, und bei seinen zehn Helfern im Stab. Kleine Buddhas ruhen auf dem Dach und sind für Teile der Medien ein gefundenes Fressen.

2. Juli 2008: Erster Ärger für Klinsmann: Die Fotografen dürfen nur drei Minuten lang Bilder machen. Als Klinsmann den Satz sagt, der ihm immer nachhängen wird, haben die Fotografen den Presseraum aus Protest längst verlassen. "Es ist meine Philosophie, jeden Spieler jeden Tag besser machen zu wollen."

21. Juli 2008: Lukas Podolski hat sich mit Klinsmann ausgesprochen und will bleiben - aber auch spielen.

24. Juli 2008: Klinsmann sagt, er will "viele Jahre" bleiben.

6. August 2008: Klinsmann sagt, die Umsetzung seiner Philosophie werde "Monate dauern, vielleicht auch ein, zwei Jahre".

15. August 2008: Ein 2:2 zum Bundesliga-Auftakt gegen den Hamburger SV. Premiere verpatzt.

26. August 2008: "Wir haben absolute Geduld. Wir sind überzeugt, dass wir mit Jürgen Klinsmann den richtigen Mann haben und dass wir auch den richtigen Weg gehen." Sagt Rummenigge.

20. September 2008: 2:5. Zu Hause gegen Werder Bremen. 0:5 stand es zwischenzeitlich. Klinsmann spricht von einem "schwarzen Tag".

24. September 2008: Kapitän Mark van Bommel sitzt im Pokal gegen den 1. FC Nürnberg (2:0) auf der Bank. Klinsmann findet Andreas Ottl besser.

6. Oktober 2008: Klinsmann ist 100 Tage im Amt. Zuletzt 0:1 verloren in Hannover, 3:3 gegen Bochum - der schlechteste Saisonstart seit 31 Jahren ist perfekt. Die Basis muckt auf, Hoeneß will erst am 30. Juni Bilanz ziehen. Wenig später stellt Rummenigge dem Trainer eine Jobgarantie bis zum Saisonende aus. Klinsmann werde auch am 34. Spieltag auf der Bank sitzen. "Definitiv. Da gibt es keine Zweifel", sagt Rummenigge.

5. Dezember 2008: Bayern-Dusel? 2:1-Heimsieg gegen Herbstmeister Hoffenheim. Ein Hammer-Spiel. Toni trifft in letzter Minute.

Winterpause: Die Bayern sind Zweiter, punktgleich mit Hoffenheim. "Jürgen wollte Rom in zwei Monaten erbauen. Das ging nicht", sagt Hoeneß in Dubai. "Wir müssen keine Angst mehr haben - vor keiner Mannschaft der Welt", meint Klinsmann, immer noch ganz Stürmer. Podolski auch. Hinter Toni, Mirolsav Klose und dem ausgeliehenen Landon Donovan aber nur noch Nummer vier. Podolski will nach Hause, nach Köln. Er darf. Im Sommer.

19. Februar 2009: Rummenigge macht Druck. "Entscheidend ist immer das Sommerzeugnis. Dann sieht man, was man erreicht hat und wie die Dinge zu bewerten sind." Klinsmann arbeitet auf Bewährung.

27. Februar 2009: Weiterer Autoritätsverlust für Klinsmann. Die Mannschaft gibt preis, einen Taktikwechsel beschlossen zu haben, weniger "Hurra", mehr "Hab Acht". War aber alles mit dem Trainer abgesprochen ...

4. März 2009: Der erste Titel ist futsch! 2:4-Niederlage bei Bayer Leverkusen im DFB-Pokal.

8. März 2009: 5:1 gegen Hannover. Donovan muss zurück in die USA. Ein einstimmiger Vorstandsbeschluss.

10. März 2009: 7:1! In der Champions League, im Achtelfinale. Macht nach dem 5:0 bei Sporting Lissabon ein sattes 12:1. "Wir brauchen uns in Europa vor niemandem zu verstecken", sagt Klinsmann.

4. April 2009: Ein Sololauf und ein Hackentor von Grafite demütigen den FC Bayern. 5:1 siegt Wolfsburg. "Da ist eine Wut, die in mir kocht", erklärt Klinsmann. Die Spieler sollen jetzt auch mal den Kopf hinhalten.

8. April 2009: 45 Minuten reichen Barcelona zur Demontage der Bayern. 4:0 zur Halbzeit. Ein Klassenunterschied. Jörg Butt steht überraschend für Michael Rensing im Tor. Beide sind machtlos. Der Stolz des FC Bayern sei mit Füßen getreten worden, sagt Rummenigge beim Bankett.

11. April 2009: Butt bleibt im Tor, und Klinsmann nach dem 4:0 gegen Frankfurt Trainer.

25. April 2009: 0:1 gegen Schalke. Zerfallserscheinungen. Franck Ribery sieht Gelb-Rot und geht die Treppe hinab. Uli Hoeneß senkt verzweifelt sein Haupt. Klinsmann sagt: "Die Chemie stimmt."

27. April 2009: Hoeneß, Rummenigge und Finanz-Vorstand Karl Hopfner haben den Daumen gesenkt. Jupp Heynckes und Hermann Gerland sollen vorerst übernehmen. Klinsmann ist "sehr enttäuscht" - aber nach wie vor überzeugt: "Wir haben den Grundstein für die Zukunft gelegt."