Mit Wahrscheinlichkeiten ist das so eine Sache. “Ich habe der Mannschaft gesagt, dass ich zu 99 Prozent gegen Wolfsburg hinter der Bande stehen...

Hamburg. Mit Wahrscheinlichkeiten ist das so eine Sache. "Ich habe der Mannschaft gesagt, dass ich zu 99 Prozent gegen Wolfsburg hinter der Bande stehen werden", sagte Bob Leslie, seit der Entlassung Bill Stewarts Interimscoach der Hamburg Freezers nach dem Training des Klubs gestern Vormittag. Keine sechs Stunden später war klar: Er wird es nicht tun.

Mit seinem kanadischen Landsmann Paul Gardner wurde am Abend zunächst der Mannschaft und dann der versammelten Hamburger Presse der neue Freezers-Trainer vorgestellt. Gardner arbeitete zuletzt in Minsk, einer der weniger schönen Stationen seiner Karriere, wie er sagt. "Da wurde vorgegeben, was man als Trainer zu machen hat", berichtete der 52-Jährige.

Jetzt will er wieder der Boss sein. Anders auch als zu Hause in Nashville/Tennessee, wo seine Frau diese Rolle innehat. Nach einer knapp fünfmonatigen Auszeit, in der sich der Vater von fünf Kindern unter anderem um seine an einer Lungenerkrankung leidende Tochter Skylar (7) kümmerte, kehrt der ehemalige Profi mit über 400 Spielen Erfahrung aus der nordamerikanischen Eliteliga NHL auf den Trainerstuhl zurück. Hamburg ist seine erste Station in Deutschland. Schon heute im Spiel gegen die Niedersachsen (19.30 Uhr, Color-Line-Arena) wird er erstmals hinter der Bande stehen.

"Als klar war, dass es meiner Tochter wieder so gut geht, dass ich nach Europa fliegen kann", erzählte Gardner, "war für mich klar, dass ich das auch machen will." Am Sonntag schaute sich der Hobbygolfer das 4:5 der Freezers in Hannover an. "Ich habe da ein paar kleine Fehler gesehen, aber die werde ich mit der Mannschaft besprechen." Den ersten Kontakt mit den Freezers habe es sechs Tage vor der Einigung gegeben, berichtete Gardner, also am Tag des desaströsen 0:4 gegen Straubing, das seinem Vorgänger Stewart zum Verhängnis wurde. Der Druck auf den alten Coach war bereits erhöht worden, als die Krise der mittlerweile nur noch auf Rang 13 platzierten Freezers längst nicht die heutige Tragweite erreicht hatte.

Schon damals hatte Freezers-Boss Boris Capla Kontakt zu Kandidaten für Stewarts Posten aufgenommen. Seither gab es heftige Spekulationen um seinen möglichen Nachfolger, auch der Name Gardner war dabei immer wieder genannt worden. "Wir haben geschaut, was wo möglich ist", erklärte Capla, der erst gestern Morgen von seiner Trainerfindungs-Mission aus Nordamerika zurückgekehrt war, bei der er weitere Kandidaten interviewt hatte. Die Entscheidung für Gardner sei dann gemeinsam mit Sportdirektor Leslie in Hamburg getroffen worden. "Wir erhoffen uns von Paul, dass er die von uns erhoffte Mischung zwischen ,Kopf streicheln' und ,hart durchgreifen' findet", sagte Capla. "Es gilt auch, dem Team das Selbstvertrauen zurückzugeben."

Gleich fünf Freezers-Spieler kennt Gardner aus gemeinsamer Vergangenheit, darunter Kapitän Clarke Wilm, der beim NHL-Team Nashville Predators spielte, als sein neuer Chefcoach dort als Assistenztrainer tätig war. "Ich mag ihn", sagte Wilm. "Wir hatten zuletzt Schwierigkeiten, Tore zu schießen. Ich denke, dass er uns da weiterhelfen kann. Außerdem haben wir nicht immer als Team zusammengearbeitet."

Auch deshalb rangieren die Freezers nach einem guten Start in die Saison mittlerweile fernab von ihrem Saisonziel Platz vier. "Ich kann nichts garantieren", meinte Gardner, der aus einer bekannten kanadischen Eishockeyfamilie stammt. "Aber ich wüsste nicht, warum wir mit dieser Mannschaft nicht den sechsten Platz erreichen sollten." Dieser würde die direkte Qualifikation für die Play-offs bedeuten.

Nach Angaben von Capla hatten sich die Freezers intern eine "Deadline" für die Trainersuche bis gestern gesetzt. Ab heute hätten Gardner und das Team nun mit Spielen in kurzer Abfolge Gelegenheit zur Aufholjagd. "Es ist ein glücklicher Zeitpunkt", sagte Capla. Was auch für den Boss selbst gilt. Denn nun wird der wachsende Unmut der Fans über den Geschäftsführer von der Neuverpflichtung überlagert. Größere Protestaktionen sind unwahrscheinlich. Aber sicher ist auch das nicht.