Neues Buch stößt Debatte über Homosexualität im Sport an - Kritik an Kölns Trainer Christoph Daum.

Abendblatt:

Herr Littmann, wie schwul ist der Profifußball?

Corny Littmann:

Das kann man nur schätzen. Aber fünf Prozent der Spieler in den drei deutschen Profiligen dürften homosexuell sein. Mindestens.



Abendblatt:

Das wären etwa 70 Spieler. Warum bekennt niemand offen, dass er Männer liebt? Der ehemalige Leistungsfußballer Marcus Urban hat es doch jüngst mit dem Buch "Versteckspiel" vorgemacht.

Littmann:

Das Buch ist wirklich lesenswert. Auch wenn für mich als Homosexueller vieles bekannt war, ist seine Lebensgeschichte sehr interessant. Allerdings sind seine Probleme und seine Konflikte, die ja auch sehr durch seine DDR-Vergangenheit geprägt sind, nicht auf andere übertragbar. Und man darf nicht vergessen, dass er ein ehemaliger Spieler ist.



Abendblatt:

Wäre ein Coming-out nicht auch eine Chance? Der erste Profi könnte zur Ikone werden.

Littmann:

Sie müssen wissen, dass die Schwulenszene nicht unbedingt die Besten, Erfolgreichsten oder Mutigsten zwangsläufig feiert. Glauben Sie mir, das ist ein schnell verblassender Ruhm.



Abendblatt:

Kennen Sie eigentlich aktive homosexuelle Profis persönlich?

Littmann:

Ich weiß von mehreren Bundesligaspielern, dass sie es sind. Aber den Kontakt oder die Diskussion über das Thema Outing habe ich nie gesucht.



Abendblatt:

Auch nicht zu Spielern des FC St. Pauli? Oder gibt es keinen schwulen Kiezkicker?

Littmann:

Nicht, dass ich wüsste.



Abendblatt:

Viele erwarten das erste Coming-out eines Profis in naher Zukunft. Ist es in den nächsten zwölf Monaten so weit?

Littmann:

Das halte ich für denkbar, ja. Allerdings wird es sicherlich kein Einzelner sein. Wenn es passiert, werden es mehrere zeitgleich tun. Mannschafts- und vielleicht auch ligenübergreifend. Vorher erwarte ich aber noch das Outing eines namhaften Exprofis. Das wäre der nächste Schritt.



Abendblatt:

Wie soll das kollektive Outing funktionieren? Gibt es so etwas wie ein schwules Netzwerk unter Profis?

Littmann:

Ohne dass ich konkret darüber informiert bin, ja. Schwule kennen oder erkennen sich. Auch im Fußball.



Abendblatt:

Weshalb steht die Community dann nicht auf und bekennt sich?

Littmann:

Weil berechtigte Ängste und Ungewissheiten vorherrschen.



Abendblatt:

Angst vor den Fans im Stadion?

Littmann:

Nein, Schmährufe sind ohnehin schon fester Bestandteil des Profigeschäfts. Die Anfeindungen würden wohl eher bei den Gegenspielern wachsen. Die entscheidende Frage aber lautet: Inwieweit schadet ein Outing meiner Karriere? Kölns Trainer Christoph Daum ist doch das lebende negative Beispiel. Und der ist mit seinen Ansichten sicher nicht allein. Da würde ich mir als Spieler zehnmal überlegen, ob ich diesen Schritt wage. Zumal auch die Mitspieler ein Problem darstellen könnten.



Abendblatt:

Inwiefern?

Littmann:

Das ist von Urban in dem Buch ganz gut beschrieben: Wie nehmen die Kollegen es auf? Wer wendet sich von mir ab? Und auch die verschiedenen Kulturen innerhalb eines Teams sind diesbezüglich nicht zu unterschätzen.



Abendblatt:

Wie meinen Sie das?

Littmann:

Ich will es mal so formulieren: Ein Kroate, Serbe oder Russe würde sicherlich anders reagieren als ein Deutscher.



Abendblatt:

Wann haben Sie sich geoutet?

Littmann:

1971, im Alter von 19 Jahren.



Abendblatt:

Haben Sie als Präsident des FC St. Pauli Anfeindungen oder Diskriminierung in der Fußballwelt erlebt?

Littmann:

Diskriminierung ist ein subtilerer Vorgang als direkte Aggression. Meine Homosexualität hat dazu geführt, dass ich auf einen Schlag im Fußball bekannt war. Ist das Diskriminierung?



Abendblatt:

Gestört haben dürfte es Sie nicht ...

Littmann:

Nein. Aber natürlich werde ich aufgrund meiner Sexualität auch beschimpft und beleidigt. Hinter meinem Rücken. Dessen bin ich mir bewusst.