Mikkel Kessler saß in seiner Kabine auf einer Holzbank und verschlang eine Banane.

Kopenhagen. Wer den neuen WBA-Boxweltmeister im Supermittelgewicht dabei beobachtete, der konnte kaum glauben, dass dieser nur 30 Minuten vorher eine Ringschlacht überstanden hatte, von der alle, die dabei gewesen waren, noch lange erzählen werden. Locker plauderte der 29 Jahre alte Däne mit den 15 anwesenden Journalisten, trank dabei einen Liter stilles Wasser, und ging erst unter die wohlverdiente Dusche, als auch der letzte Fotograf sich ein Bild gemacht hatte von dem Mann, der zum neuen Herrscher seiner Gewichtsklasse aufsteigen wird.

Dimitri Sartison war zu dieser Zeit in einem Krankenhaus in Kopenhagen. Dort wurde der 28 Jahre alte gebürtige Kasache aus dem Hamburger Spotlight-Stall gründlich untersucht, um Folgeschäden dessen auszuschließen, was er sich an diesem denkwürdigen Sonnabendabend in der Bröndby-Halle angetan hatte. Fast zwölf Runden lang war Sartison gegen Kessler ein Tempo gegangen, das ihm nur wenige zugetraut hatten. Fast zwölf Runden lang hatte er den hohen Favoriten immer wieder mit überraschenden Kontern in Bedrängnis gebracht. In der ersten Runde hatte er ihn mit einer Rechten über Kesslers fallende Linke - dem im Training einstudierten Überraschungsangriff - sogar angeklingelt.

Doch weil Kessler anschließend die Kontrolle übernahm, auch in der zwölften Runde noch so frisch wirkte wie zu Beginn des Gefechts, und er, angefeuert von 3500 lautstarken Fans, den Knockout unbedingt erzwingen wollte, blieb Ringrichter Stanley Christodolou nichts anderes übrig, als den verteidigungsunfähigen Sartison nach einem Trommelfeuer Kesslers aus dem Kampf zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt lag Sartison auf den Punktzetteln weit zurück.

In der Ringecke nahm das Drama seinen Lauf. Sartison hatte gerade seiner Ehefrau Regina sein Wohlbefinden versichert, als sein Kreislauf kollabierte. Auf einer Trage musste er nach Erstversorgung durch Spotlight-Arzt Michael Ehnert aus dem Ring und per Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht werden. Dort stellten die Ärzte zwar lediglich Dehydrierung und Erschöpfung fest, zur Sicherheit blieb der Athlet jedoch über Nacht im Hospital. Am Sonntagmittag konnte er wie geplant mit der Spotlight-Entourage den Rückflug nach Hamburg antreten. Um 2.20 Uhr in der Nacht hatte er sich noch per SMS beim Team für die Unterstützung bedankt und für die Niederlage entschuldigt.

"Ich bin nicht zufrieden mit mir, weil ich vieles von dem, was ich kann, vernachlässigt habe. Aber ich habe gemerkt, dass ich in der Weltspitze mithalten kann", sagte der 28-Jährige, der im 23. Profikampf seine erste Niederlage hinnehmen musste, dem Abendblatt am Sonntag. Die Selbstkritik des Sportlers wollten die Beobachter nicht teilen. "Dima hat unsere Taktik voll umgesetzt. Ich bin stolz auf ihn", sagte der sichtlich niedergeschlagene Trainer Magomed Schaburow. Ringrichter Christodolou sprach von einer "unglaublich couragierten Leistung Sartisons, der mir bis zuletzt keinen Anlass gegeben hat, den Kampf abzubrechen". Kessler lobte den Mut seines Kontrahenten, versicherte jedoch, "einen hungrigen und für alles bereiten Herausforderer erwartet" zu haben. Und Spotlight-Chef Dietmar Poszwa sagte: "Dimitri weiß jetzt, dass er in der Weltspitze mithalten kann. Er war vorher noch nie über zwölf Runden gegangen, und dann einen Mann wie Kessler derart unter Druck zu setzen, das ist großartig."

Während Sartison nach einer langen Pause auf seine nächste WM-Chance hinarbeiten muss, könnte für Kessler schon bald der nächste Deutsche als Gegner warten. Danilo Häussler aus dem Sauerland-Stall wird von der WBA als Pflichtherausforderer geführt. Und während Kesslers Promoter Mogens Palle ("Wer gesehen hat, was Mikkel mit Sartison gemacht hat, der weiß, dass Häussler nicht überleben würde") das Duell nicht will, könnte sich der Champion, der im 41. Profikampf den 40. Sieg feierte, einen Ausflug nach Deutschland gut vorstellen. "Ich glaube, dass mein Kampfstil bei euch gut ankommen würde", sagte er, bevor er sich eine zweite Banane genehmigte.