Deutschlands Topspieler spricht sich als Chinakenner für die Teilnahme an den Spielen in Peking aus.

Hamburg. Zu behaupten, dass Timo Boll China wie seine Westentasche kennen würde, wäre bei einer Nation mit über einer Milliarde Einwohnern dann doch ein wenig übertrieben. Es gibt aber kaum einen deutschen Profisportler, der mehr Einblick in die Kultur des Landes und die Mentalität seiner Menschen hat als der Tischtennis-Ausnahmespieler. Seit Teenager-Zeiten verbringt der heute 27-Jährige jede Saison mehrere Tage oder Wochen in der Volksrepublik.

In diesem Jahr hat er alles auf die Olympischen Spiele in Peking (8. bis 24. August) ausgerichtet. Die Vorbereitung darauf läuft für den zweifachen Europameister im Einzel jedoch alles andere als glatt. Nach Rückenproblemen zog er sich eine Entzündung im Knie zu. Die Folge waren zwei Monate Zwangspause. Bei den bis zum Sonntag in Hamburg laufenden deutschen Meisterschaften (siehe Infokasten) greift er nun wieder zum Schläger, will in der Alsterdorfer Sporthalle möglichst viel Matchpraxis sammeln.

"Natürlich hätte ich mir das auch alles anders vorgestellt", sagt der gebürtige Odenwälder. "Ich denke aber, dass noch genug Zeit bis Peking ist." Boll ist heiß auf Olympia. Dass die Spiele im Land des Tischtennissports stattfinden, in dem die Ballkünstler Superstars sind, macht die Sache für ihn nur noch reizvoller. Die Vorfreude auf Peking will er sich deshalb nicht verleiden lassen. Nicht von Verletzungen und auch nicht von Kritikern, die aus politischen Gründen auf einen Boykott der Spiele drängen.

"Ein Boykott wäre ein Schuss in die falsche Richtung", sagt Boll, der sogar schon einmal für einen chinesischen Klub spielte und dort die Begeisterungsfähigkeit der Chinesen kennenlernte. "Ich glaube, dass so eine Aktion nur zu mehr Abschottung und Fremdenfeindlichkeit in China führen und Tibet nicht helfen würde." Boll will sich ganz normal auf die Spiele vorbereiten, plant auch vor Ort keine besonderen Aktionen. Er sei ohnehin niemand, der nach vorne presche. Der hinter vier Chinesen in der Weltrangliste auf Platz fünf Geführte sieht vielmehr die Regierungen in der Pflicht. Sportler vorzuschicken, sei "falsch und billig".

Auch wenn die Bilder aus der nach Unabhängigkeit strebenden Region Tibet einen anderen Eindruck vermitteln, sei China seit seinem ersten Besuch vor zwölf Jahren viel liberaler geworden, meint der für Düsseldorf spielende Linkshänder. Er verhehlt dabei nicht, dass er seine Eindrücke aus der Position eines Privilegierten sammelte. Denn auch Boll ist in China - anders als in Deutschland - ein Superstar. Reiste sein Team in die Provinz, wurden für den Tross die Straßen gesperrt.

"Ich habe dort viele arme, aber trotzdem glückliche Menschen gesehen", erzählt der Hesse. Mittlerweile wisse die Bevölkerung mehr als früher, was um sie herum passiert. Boll setzt auf eine Fortsetzung dieses Trends durch den Informationsaustausch während der Spiele. Unter den Tischtennis-Stars sei die Kommunikation aber eher schwierig. "Ich kann nur ein paar wichtige Wörter Chinesisch, die Chinesen kaum Englisch."

Vielleicht ist zu viel Austausch auch aus sportlichen Gründen gar nicht gewünscht. Die Chinesen haben Respekt vor Europas Nummer eins, sollen für ihre Olympiakandidaten sogar Sparringspartner ausgebildet haben, die Bolls Spielweise imitieren. Den Deutschen freut es, dass er ernst genommen wird. Er glaubt nicht, dass ihm daraus ein großer Nachteil entsteht. Schließlich schaue er selbst sich auch genau an, wie die Chinesen spielen. Bolls Glück: Bei Olympia sind es nur drei von ihnen, über die er Bescheid wissen muss.