HAMBURG. Die Mediziner brauchten neun Versuche. Neun Versuche, um Gerd Audehm wieder ins Leben zurückzuholen. Der ehemalige Radprofi des Teams Telekom war in einem Fitnesscenter bewusstlos vom Heimtrainer gesunken. 32 Jahre alt war der Brandenburger damals im Jahr 2000. Jetzt ist er ein Pflegefall, desorientiert und ohne Kurzzeitgedächtnis. Sein Gehirn hatte zu lange keinen Sauerstoff bekommen. Erst nach acht Monaten erwachte der frühere Leistungssportler aus dem Koma.

Zuletzt war es ruhig geworden um den einstigen Weggefährten von Jan Ullrich und Erik Zabel, der zurückgezogen bei seinen Eltern lebt. Doch mit den Dopinggeständnissen rund um das Magenta-Team tauchte auch der Name Audehm wieder auf. Sollte sein Schicksal doch eine Doping-Folge sein? So wie der Tod des Engländers Tom Simpson, der bei der Tour de France 1967 kollabierte, die Taschen voll mit Amphetaminen, oder das Ableben des Dänen Knud Jensen, der bei den Olympischen Spielen 1960 ebenso mit Amphetaminen gedopt stürzte und im Krankenhaus verstarb?

"Wenn man das will, kann man zu allem etwas konstruieren", meint Olaf Ludwig, ebenfalls mit Audehm bei Telekom aktiv und später Teamchef bei T-Mobile. Auch Bernd Drogan, ehemaliger Coach des starken Bergfahrers, glaubt nicht an einen Zusammenhang mit Doping. Er befürchtet vielmehr, "dass Gerdchens Name in den Dreck gezogen werden könnte".

Offiziell war Audehms Zusammenbruch die Folge einer nicht auskurierten Herzmuskelentzündung. Er gehört damit zu einer ganzen Reihe von Radsportlern, die in den vergangenen Jahren plötzlich auf der Strecke oder im Training tot von ihrem Arbeitsgerät fielen, nicht mehr aus dem Schlaf erwachten oder nach ihrem Karriereende einen folgenschweren Herzinfarkt erlitten. Mit der Einschränkung, dass Audehm in letzter Sekunde gerettet werden konnte. Bei mehr als einem Dutzend anderer aktiver und früherer Radprofis kam dagegen allein seit 2003 jede Hilfe zu spät.

Der Italiener Denis Zanette (32) beispielsweise wird bei einem Routinebesuch beim Zahnarzt ohnmächtig und stirbt kurze Zeit später im Krankenhaus, der Franzose Fabrice Salanson (23) schläft wie der Belgier Johan Sermon (21) ein und wacht nie wieder auf, Marco Rusconi aus Italien (24) erleidet nach einer Party auf dem Weg zum Auto einen Herzstillstand. Dopingmittel konnten in allen Fällen bei der Autopsie nicht nachgewiesen werden.

Die hohe Sterblichkeit bei Radprofis ist nicht neu. Eine vom französischen Magazin "Nouvel Observateur" 1999 veröffentlichte Studie, für die 2363 Teilnehmer der Tour de France erfasst worden waren, ergab, dass die Sterblichkeitsrate fast dreimal so hoch lag wie in der Normalbevölkerung. Bei Radprofis von 25 bis 34 Jahren war sie fünfmal so hoch. Die Ursachen sind vielfältig. Leistungssportler setzen ihren Körper unnatürlich hohen und langen Belastungen aus, holen alles heraus.

Dass Doping der Auslöser für eine ganze Serie von Todesfällen im Radsport ist, glaubt Prof. Dr. Tim Meyer (Internist und Teamarzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft) indes nicht. Angeborene Herzfehler und entzündliche Erkrankungen des Herzens sieht er dagegen als Hauptgründe für den in der Vergangenheit auch bei Sportlern anderer Disziplinen häufiger aufgetretenen "plötzlichen Herztod" an. "Übrig bleiben dann 20 Prozent ungeklärter Fälle", meint Meyer. "Dinge, die man in der Autopsie nicht feststellen kann." Meyer hält es für möglich, dass in Einzelfällen auch Dopingmittel ihren Tribut fordern: "Wenn zu einer Vorschädigung des Herzens Doping kommt, kann das fatal sein." Eindeutige Indizien wie in den Fällen Jensen und Simpson bleiben jedoch die Ausnahme.