Ski Nordisch: Erste Medaille für die deutschen Langläufer bei Olympia in Turin. Weltcupführender widmet Bronze im 15-km-Rennen dem verletzten Freund Axel Teichmann.

Pragelato. In der Nacht war der Schnee gekommen, er hatte sich hereingeschlichen ins Chisone-Tal und sich als dicke Schicht über die Landschaft gelegt. Als Tobias Angerer morgens den Vorhang aufzog, blickte er in eine Winterlandschaft. "Diese schwierigen Bedingungen sind wie geschaffen für mich", habe er sich gedacht, und während er das erzählt, wiegt er zärtlich die Bronzemedaille in den Händen.

Er hat sie gerade überreicht bekommen, für das 15-Kilometer-Rennen im klassischen Stil. Als 99. und letzter Starter war der Vachendorfer auf die Strecke gegangen, hatte gegen dichten Schneefall und böigen Wind angekämpft. Als Angerer nach 38:20,5 Minuten mit letzter Kraft über die Ziellinie in Pragelato-Plan stürzte, lagen nur noch zwei vor ihm: Andrus Veerpalu aus Estland, der damit seinen Olympiasieg von 2002 wiederholte, und der Tscheche Lukas Bauer.

"Auf der Schlußgeraden habe ich das letzte herausgeholt, da habe ich nur noch gewankt", meinte Angerer. Schon 2002 hatte der Weltcupführende mit der Staffel Bronze gewonnen. Die Medaille von Freitag aber sei "für das Team Gold wert."

Sie nimmt wohl wirklich einigen Druck von den gebeutelten Langläufern, die mit großen Ambitionen angereist waren, von denen es aber bis dato nur traurige Geschichten zu erzählen gab: den Ausfall Axel Teichmanns, die Sperre Evi Sachenbacher-Stehles, immer neue Krankheitsfälle. "Tobis Medaille", sagte Rene Sommerfeldt (Oberwiesenthal), der Zwölfter wurde, "ist ein Befreiungsschlag für uns alle."

Das Wetter war für Angerer nicht die einzige freudige Überraschung des Morgens gewesen. Teichmann, sein Thüringer Trainingsgefährte, war in Pragelato eingetroffen. "Die Medaille ist auch für dich", sagte Angerer, als er dem Gesamtweltcupsieger im Ziel in die Arme fiel und sie gemeinsam Freudentränen vergossen. Die Teamkollegen hatten Teichmann zum Kommen überredet, obwohl sie wußten, daß ihnen der Lobensteiner, so wenige Tage nach der Operation an einem Oberschenkel-Abszeß, bei der Staffel am Sonntag (10 Uhr) nicht helfen kann. Oder doch?

"Ohne ihn hätte ich die Medaille nicht gewonnen, es tut mir unendlich leid für ihn", meinte Angerer. Auch der siebtplazierte Oberhofer Andreas Schlütter ("Das war eine zusätzliche Motivation") fühlte sich schon durch die schiere Anwesenheit des früheren Weltmeisters beflügelt. Einzig Franz Göring (Zella-Mehlis) fiel als 44. etwas aus dem positiven Gesamtbild heraus.

Was so ein kleines Stück Metall doch verändern kann. Mitten im trüben Wetter scheint plötzlich die Sonne aus den Gesichtern der Langläufer, und Rene Sommerfeldt sagt: "Unser Ziel sollte es sein, in der Staffel um Gold mitzukämpfen." Dann wird Jens Filbrich (Frankenhain), der am Freitag geschont wurde, zur Mannschaft stoßen.

Bundestrainer Jochen Behle versicherte, "daß die Jungs angreifen wollen". Teichmanns moralischer Beistand spreche für den Zusammenhalt in der Mannschaft. Für den Sieg, glaubt Angerer, kämen aber fünf Nationen in Frage. Unschlagbar scheint keine: Für die Norweger, zuvor als Favoriten ausgemacht, war der 17. Platz von Frode Estil noch das beste Resultat.

Die Skandinavier hatten offensichtlich verwachst. "Es war schon eine Lotterie", gab Schlütter zu und dankte den sechs DSV-Technikern, "die bis zuletzt die Ruhe bewahrt haben". Frühmorgens hatten sich die Wachsspezialisten auf die Suche nach der richtigen Mixtur gemacht. Bei den Anstiegen Halt zu finden, bei den Abfahrten aber ins Rollen zu kommen, "das ist bei Schneetemperaturen um den Gefrierpunkt nur ein schmaler Grat", wie Angerer weiß. Ihm selbst hatte sein Servicemann Jens Lautner vier Paar Ski bereitgestellt. Das erste habe auf Anhieb funktioniert. "Ein beruhigendes Gefühl."

Am Wochenende werden die Techniker wieder gefragt sein. Bereits am Sonnabend (9.45 Uhr) geht die Damenstaffel als Titelverteidiger in die Spur. Es sind ausgiebige Schneefälle vorhergesagt. Schöne Aussichten für die Langläufer.