Nach einem 0:2 zur Halbzeit sorgt Stanislawski mit einem Dreifachwechsel für die Wende. Rostocker Chaoten nebeln Millerntor ein.

Hamburg. Die Hamburger Zuschauer standen stimmgewaltig auf ihren Plätzen, auf dem Rasen wurden Jubeltänze aufgeführt und sogar Tränen vergossen. Emotionen, die der Freude und Erleichterung über ein Spiel entsprangen, das eigentlich bereits verloren schien. Nach einem 0:2-Rückstand bezwang der FC St. Pauli Hansa Rostock dank einer fulminanten zweiten Halbzeit am Ende verdient mit 3:2 - ein Sieg der Leidenschaft.

Eben diese hatten die Braun-Weißen zu Beginn noch komplett vermissen lassen. Zwar kassierte die schlechteste Defensive der Liga nicht wie in Oberhausen und München drei Gegentore in den ersten 25 Minuten, dafür aber zwei in den ersten fünf! St. Pauli zeigte jene Deeskalationstaktik, die die Polizei im Vorfeld wohl zu recht abgelegt hatte. Schon vor dem Anpfiff des von einem Großaufgebot der Polizei begleiteten Sicherheitsspiels war es zu einigen Festnahmen und Schlägereien auf Rostocker Seite gekommen (siehe Seite 13). Die 1000 beim Einlauf der Mannschaften im Hansa-Fanblock hoch gehaltenen Schals mit dem Aufdruck "Scheiß St. Pauli" waren das Höchstmaß an Provokation.

Kompromisslosigkeit der Sicherheitskräfte, Passivität der Platzherren. Die Elf von Trainer Holger Stanislawski zeigte sich passiv, lethargisch und ohne Leidenschaft. Abwehr und Mittelfeld waren anfangs so weit voneinander abgekoppelt, dass den Rostockern das Toreschießen leicht gemacht wurde. Stanislawski suchte nach dem Halbzeitpfiff von Schiedsrichter Wingenbach erst mehrere Minuten verspätet den Weg in die Kabine - und musste kurze Zeit später ein zweites Mal vom Feld. Rostocker Hooligans hantierten mit Pyrotechnik und nebelten das Millerntor ein - die zweite Halbzeit begann mit sechsminütiger Verspätung.

Dann aber trauten einige Zuschauer im abziehenden Nebel ihren Augen nicht. Stanislawski hatte tatsächlich dreimal gewechselt und die seit Wochen angekündigten "Taten" umgesetzt: Flip Trojan, Alexander Ludwig und Timo Schultz wurden durch Florian Bruns, Björn Brunnemann und Rouwen Hennings ersetzt. Ein Zeichen, das seine Wirkung nicht verfehlte. Bissig, engagiert und mit hohem Einsatz wurde nun der Platz am Millerntor beackert. St. Pauli drückte - und traf. Nach dem von Morike Sako verwandelten Elfmeter (Brunnemann war von Schöneberg gefoult worden) war die Trendwende geschafft, David Hoilett drehte dann die Partie mit seinen beiden Toren.

Die Fans standen Kopf, der Kiez tobte. "Es war das emotionalste Spiel seit unserem Aufstieg 2007", befand Sako, der sich nach der Partie mit seinen Kollegen - nur Trojan und Ludwig fehlten - vor den Fans verneigte. "Ich bin überglücklich", sagte Hoilett und fügte einen weiteren Superlativ an: "Das war mein bisher bestes Spiel als Fußballprofi."

St. Pauli: Hain - Rothenbach, Gunesch, Eger, Drobo-Ampem - Boll, Schultz (46. Bruns) - Trojan (46. Brunnemann), Ludwig (46. Hennings), Hoilett - Sako.

Rostock: Hahnel - Schöneberg, Orestes, Gledson, Oczipka - Retov, Svärd - Schindler, Fillinger (81. Kroos) - Bartels (70. Kern), Myntti.

Tore: 0:1 Myntti (2.), 0:2 Bartels (5.), 1:2 Sako (52., Foulelfmeter), 2:2 Hoilett (72.), 3:2 Hoilett (84.). SR.: Wingenbach (Diez). Zuschauer: 22 138. Gelb-Rot: Sako (90.+2, Unsportlichkeit).