Es gibt Momente im Leben, in denen man von früheren Aussagen eingeholt wird. Jürgen Brähmer macht sich gar nicht erst die Mühe, eine Ausrede zu...

Hamburg. Es gibt Momente im Leben, in denen man von früheren Aussagen eingeholt wird. Jürgen Brähmer macht sich gar nicht erst die Mühe, eine Ausrede zu finden. Der Halbschwergewichts-Boxprofi aus dem Hamburger Universum-Stall hatte im vergangenen November vor seiner ersten WM-Chance gegen den argentinischen WBA-Champion Hugo Hernan Garay gesagt, er sehe sich endlich an seinem Ziel angekommen, schließlich sei er ja nicht Profi geworden, "um Europameister zu werden". Der Rest ist bekannt: Brähmer unterlag Garay deutlich nach Punkten, der Traum vom WM-Thron war vorerst ausgeträumt.

An diesem Sonnabend (23 Uhr, ZDF live) nimmt der 30 Jahre alte Schweriner in Dresden nun den Titel ins Visier, wegen dem er ausdrücklich nicht Profi geworden ist. Gegen den Franzosen Rachid Kanfouah (35) geht es um die Europameisterschaft, aber weil der Kampf den Boxfans schmackhaft gemacht werden muss, bemühte sich der gelernte Schweißer, ihn als bedeutenden Meilenstein auf dem Weg zu höchsten Weihen darzustellen: "Natürlich ist die EM ein großer Titel, der erst einmal gewonnen werden muss."

Dass diese Aussagen eine neue Bescheidenheit ausdrücken, darf bezweifelt werden. Brähmer denkt natürlich seit dem Tag nach dem Garay-Kampf nur daran, den Argentinier zu einer Revanche vor die Fäuste zu bekommen. Er habe die Niederlage schon am selben Abend abgehakt, sagt er. "Ich habe mich sehr über mich geärgert, weil ich mich nicht an die taktischen Anweisungen meines Trainers gehalten habe", gibt er zu. Sein grenzenloses Selbstbewusstsein lässt ihn nicht daran zweifeln, Garay besiegen zu können. "Mein Traum bleibt selbstverständlich, der nächste deutsche Weltmeister zu werden. Bis Jahresende will ich den Rückkampf mit Garay." Die vielen negativen Bemerkungen, die Brähmers zahlreiche Kritiker nach der WM-Schmach auswalzten, haben laut Trainer Michael Timm zu einem gehörigen Motivationsschub geführt. "Jürgen hat den Spaß am Boxen wieder entdeckt. Ich habe das Gefühl, dass er jetzt die boxerische Linie gefunden hat, die ihn früher auszeichnete", sagt der Coach. Früher, das war die Zeit vor dem zweiten Gefängnisaufenthalt, der den wegen diverser Delikte zweimal inhaftierten Rechtsausleger zwischen 2002 und 2005 drei Jahre seiner Karriere kostete. Brähmer selbst unterstreicht Timms Worte: "Ich brauche es wohl, dass sich viele Klugscheißer über mich lustig machen. Das gibt mir den Extra-Kick, noch mehr Gas zu geben."

Das Duell mit dem unbequemen Kanfouah, der im Januar 2007 Brähmers Stallkollegen Thomas Ulrich durch technischen K. o. in Runde zehn unterlag und zuletzt vor 14 Monaten im Ring stand, ist der erste Kampf für den 1,81 m großen Athleten seit der Niederlage gegen Garay. Ursprünglich hatte er im Januar wieder boxen sollen, musste aber wegen einer Cutverletzung absagen, die er sich in der Neujahrsnacht in Schwerin durch einen Flaschenwurf eines Unbekannten zugezogen hatte. Dass über den Unfallhergang wildeste Gerüchte kursierten, ist bei Brähmers Lebensgeschichte nicht verwunderlich. Er selbst hat sich damit arrangiert, "dass die Leute immer wieder blödes Zeug über mich erzählen", sieht sich aber vor allem darin bestätigt, seine Heimatstadt bald in Richtung Rostock verlassen zu wollen.

Froh ist er im Nachhinein darüber, dass er den Werfer, der seine Freundin Tatjana knapp verfehlte, nicht erwischt hat. "Mit dem hätte ich wohl so einiges veranstaltet", sagt er, wohl wissend, dass er sich eine erneute Körperverletzung nie mehr leisten darf. Seine Kraft und Wut für den Ring aufgespart zu haben, dürfte letztlich zum Vorteil aller gereichen. Rachid Kanfouah ausgenommen.