Beim Nord-Süd-Gipfel mutierte der sonst so oft zitierte Bayern-Dusel zum HSV-Dusel. Das war als Belohnung zu verstehen. Die Hamburger beglücken die gesamte Bundesliga.

Lieber Martin Jol,

es kommt nicht häufig vor, dass Journalisten Liebesbriefe schreiben - jedenfalls nicht an Fußballtrainer. Meine Frau wäre mit Sicherheit sauer, weil sie seit Monaten nicht mal eine Notiz (Ausnahme: Einkaufswünsche) von mir bekommen hat. Aber glücklicherweise verirrt sie sich nicht auf Sportseiten im Internet. Aber nun zur Sache: Nach dem famosen 1:0-Sieg des HSV gegen den FC Bayern ist es aus meiner Sicht mehr als angebracht, Ihnen diese Zeilen zu widmen.

Ich möchte mich im Namen tausender Fußballfans bedanken. Wofür, werden Sie jetzt möglicherweise denken, Sie und Ihre Profis haben schließlich nur ihren Job gemacht. Das stimmt einerseits, aber andererseits hat der HSV an diesem Tag des Rückrundenstarts mehr vollbracht als manch anderes Team in der gesamten Saison. Sie haben durch den Erfolg gegen den Rekordmeister nicht nur das Titelrennen um ein Vielfaches spannender gemacht, sondern zugleich die geschwätzigen Herren aus München verstummen lassen, deren meisterliche Ambitionen nach dem Abschluss der Hinserie (Beispiel Uli Hoeneß: "Was sind schon vier Tore Rückstand auf den ersten Platz für den FC Bayern...? Wir sind gefühlter Herbstmeister.") und noch mehr nach dem fulminanten 5:1-Pokalerfolg in Stuttgart vor jeder Menge Selbstverherrlichung und Selbstüberschätzung trieften. Sie, Herr Jol, haben mit Ihren Jungs dafür gesorgt, dass die bayrischen Sich-gegenseitig-auf-die-Schultern-Klopfer zumindest für ein paar Tage nachdenken werden und realisieren müssen, dass es mit ihrer ach so überwältigenden Vormachtstellung in der Bundesliga doch noch nicht ganz so weit ist. Glücklicherweise. Sie haben damit die Hoffnungen der gesamten Fußballnation geschürt, dass es doch noch eine spannende Rückrunde gibt - und vielleicht sogar einen anderen Meister als die Bayern.

Sie wissen sicherlich schon, was Sie in den kommenden Tagen und Wochen erwartet. Ihr HSV wird nun zum großen Bayern-Konkurrenten ernannt. Sie werden um Ihre Meister-Rezepte gebeten, sollen Tricks und Geheimnisse Ihres erfolgreichen Strebens (vielleicht mit der Schlagzeile: "Dieser Mann ist Jold wert!") verraten. Die Bayern werden das genüsslich verfolgen und auf den ersten sportlichen Ausrutscher warten, um dann in lauthalses und öffentlichkeitswirksames Gelächter auszubrechen - getreu dem Motto: Da haben es wieder ein paar Unbelehrbare versucht und den Mund zu voll genommen.

Doch genau das, lieber Herr Jol, wird Ihnen angesichts Ihrer Erfahrung, Ihrer internationalen Tätigkeit und Ihrer Realitätsnähe nicht passieren. Sie haben sich auch im Vorfeld des Duells gegen den FCB nicht auf einen verbalen Schlagabtausch eingelassen, sind nicht in Jammerarien wegen der Olic-Sperre verfallen, sondern haben sich auf das sportliche, das fußballerische Kräftemessen konzentriert. In der modernen Kickersprache der 18- bis 25-Jährigen wird so ein Vorgehen nur mit einem Wort bedacht: Respekt!

Sie haben es zudem geschafft, Ihrer Mannschaft so viel Selbstvertrauen und taktische Disziplin einzuflößen, dass sich der Rekordmeister vorgekommen sein muss wie in einem Vergleich gegen einen international namhaften Kontrahenten, der auf Augenhöhe agiert und nicht auf Glücksmomente hofft. Die Viertelstunde nach den ersten sechs Bayern-lastigen Minuten waren ein fußballerischer Augenschmaus. Selten wurde der FC Bayern so vorgeführt, selten wirkte ein Titelfavorit derartig rat- und hilflos. Dass Sie mit der überraschenden Aufstellung Jonathan Pitroipas sogar einen vielleicht mit entscheidenden personellen und taktischen Schachzug vollzogen haben, spricht für Ihre Qualitäten. Jürgen Klinsmann hatte jedenfalls keine erfolgreiche Antwort parat.

Okay, bleiben wir hanseatisch bescheiden: Der HSV hatte in Hälfte zwei auch jede Menge Glück, dass nicht der Ausgleich fiel. Aber seien wir doch mal ehrlich: Gehört das zum Fußball nicht genauso dazu wie Abseits und Kopfballspiel? Jahrelang war in der Bundesliga immer wieder die Rede vom Bayern-Dusel. Dass dieser diesmal zum HSV-Dusel mutierte, werte ich ebenfalls als positives Signal an die Liga und alle Bayern-Gegner. Und wenn die Münchener nun selbstmitleidig auf ein nicht gegebenes Toni-Tor, einen vermeintlichen Klose-Treffer und zig gute Chancen verweisen, die nicht den Weg ins Netz fanden, dann können Sie sich mit einem breiten Lächeln (und Ihr Lächeln ist sehr breit) entspannt zurücklehnen und nur mal als Frage nach Süddeutschland schicken, was denn mit den Pfostentreffern von Trochowski und Petric gewesen sei.

Lieber Herr Jol, an dieser Stelle beende ich meine erste fußballerische Liebeserklärung. Tun Sie mir und vielen echten Fußball-Liebhabern bitte einen Gefallen: Machen Sie weiter so und bleiben Ihren Grundsätzen treu. Der HSV macht Spaß - und das ist fast schon so viel wert wie ein Titel.