Boxen: Das erste Aufeinandertreffen zwischen Witali Klitschko und Lennox Lewis endete mit einer Überraschung.

Los Angeles. Im Boxen entscheiden oft kurze Augenblicke über Sieg oder Niederlage. Doch kann, wer diese Augenblicke vermeidet, nicht verlieren? Vielleicht hat Lennox Lewis sich genau das gedacht, als er seinem Herausforderer Witali Klitschko am Mittwoch auf der offiziellen Pressekonferenz den Blick in die Augen verweigerte. Am späten Sonnabend (MESZ 4.30 Uhr Sonntagmorgen, ZDF live) im Staples Center von Los Angeles wird Lewis seinem Rivalen ins Gesicht sehen müssen. Denn dann steht seine Schwergewichts-WM-Krone nach WBC-Version auf dem Spiel. Die zu verteidigen, ist Lewis' erklärtes Ziel. Doch den ersten Punkt scheint sein Gegenüber gemacht zu haben. Was auch immer es war, das den Champion den Blickkontakt vermeiden ließ, es führte dazu, dass das erste Aufeinandertreffen der Konkurrenten seit den Dreharbeiten für den Film "Ocean's Eleven" im Frühjahr 2001 mit einem Sieg für Witali Klitschko endete. Mehr als 200 Journalisten (zum Kampf sind 682 akkreditiert) warten um elf Uhr im Innenraum des Staples Centers. Mit ihnen geduldet sich auf dem Podium eine illustre Runde. Gary Shaw, Co-Promoter des Kampfabends, steht als Moderator am Rednerpult. In seiner roten Jacke und den Slippern an den unbestrumpften Füßen sieht er eher aus wie ein Tourist. Rechts von ihm, in der ersten Reihe, die Universum-Crew. Außen Klitschko-Trainer Fritz Sdunek, wie immer die Ruhe selbst, im beigen Anzug und schwarzem Shirt. Neben ihm Witalis Bruder Wladimir, müde wirkend und doch charismatisch. Dann Bernd Bönte, Manager der Brüder, gefolgt von Witali, aufrecht sitzend mit wachem Blick, wie der Coach in beige und schwarz gewandet. Schließlich Christoph Rybarczyk, Kommunikationschef des Universum-Stalls und Vertreter für Promoter Klaus-Peter Kohl. Der brachte zur selben Zeit die Kampfverträge unter Dach und Fach, machte den Fight erst perfekt. Zu Shaws Linken Lewis' wichtigste Begleiter. Manager Adrian Ogun, ein schwarzer Hüne im rosa Hemd und Trainer Emanuel Stewart, ein alter Fuchs in feinem Tuch. In den hinteren Reihen die Nebendarsteller. Wie Roy Harris, der am 18. August 1958 die bislang letzte Schwergewichts-WM in Los Angeles gegen Floyd Patterson verlor, und Laila Ali, Tochter des legendären Muhammad Ali. Sie wird im Rahmenprogramm kämpfen. Sie alle sitzen auf ihren schwarzen Lederstühlen und warten. Warten auf den Champion. Lennox Lewis liebt diese Auftritte. Pressekonferenzen mag er nicht, meist langweilen sie ihn. Oder sie sind schmerzhaft. So wie vor seinem letzten Kampf gegen Mike Tyson, als dieser ihm im Zuge eines Handgemenges ins Bein biss, noch bevor er die Gelegenheit bekam, dem Bad Boy in die Augen zu schauen. Es sollte eigentlich nur Show sein. Doch dann konnte sich Tyson wieder einmal nicht beherrschen. Lewis beherrscht die Show perfekt. 23 Minuten lässt er auf sich warten. Seine Entourage klatscht Applaus, als er mit federndem Gang, so als hätte er chronische Reggae-Rhythmen im Ohr, in die Halle schwebt. Lewis trägt ein gelbes Shirt mit schwarzen Ärmeln, eine schwarze Mütze und Sonnenbrille. Kurz hebt er den linken Arm, spreizt Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen. In der ersten Reihe sitzt Mutter Violet, die ihren Sohn auf Schritt und Tritt begleitet. Er lächelt ihr zu. Sie ist mit seinem Auftritt zufrieden, stolz. Wie es sich für einen selbst ernannten König gehört, nimmt der Brite zunächst Gaben entgegen. Linearer Weltmeister nennt er sich, bislang war der Titel inoffiziell. Ein Mode-Designer hat Abhilfe geschaffen, überreicht einen mit Silber besetzten blau-weiß-roten Gürtel, der den Chef-Champion nun auch offiziell kennzeichnen soll. Lewis zeigt eine erste Re-gung, nimmt kurz die Sonnenbrille ab. War da sogar ein Lächeln? Wahrscheinlich galt es wieder der Mutter. Eine halbe Stunde später ergeht endlich des Königs Botschaft ans wartende Volk. Zuvor hatte Witali Klitschko sein vorbereitetes Statement in stockendem Englisch abgelesen. Es wirkte so steif wie sein Boxstil und nur teils so treffend. Als "der einzig würdige" Weltmeister wird Lewis von seinem Manager angekündigt. Grund genug, die Sonnenbrille ein zweites Mal abzunehmen. Mit Beginn seines Statements verspielt Lewis jedoch seinen Vorsprung. Schnell wird deutlich, warum der 37-Jährige den Ruf eines Lethargikers nicht los wird. Er kann nicht mitreißen. Seine Sätze wirken uninspiriert. Mit großer Spannung blicke er dem Kampf entgegen, sagt er. Tonfall und Gestik bezeugen das Gegenteil. Provokationen ("Ich habe viele Schwächen bei meinem Gegner gesehen") verpuffen. Vielleicht, weil sie nicht zur weichen, bedächtigen Stimme des 1,96 Meter großen Hünen passen wollen. Nicht einmal den Namen seines Gegners spricht Lewis korrekt aus. "Klitzko", sagt er mehrfach. Es klingt lächerlich. Weiß er es nicht besser? Oder ist er nur gelangweilt? Klitschko schafft die endgültige Wende zu seinen Gunsten, als Lewis prophezeit, innerhalb der ersten fünf Runden zu gewinnen. Der Konter des Ukrainers in klarem Englisch, diesmal nicht abgelesen: "Vor der Niederlage gegen Hasim Rahman hat Lennox gesagt, er gebe seinem Gegner zwei Runden. Nun gibt er mir fünf. Vielen Dank." Treffer. Gelächter unter den Pressevertretern. Eine passende Antwort fällt Lewis nicht ein. Der Ukrainer hat nun eindeutig die (Kampf-)Führung übernommen. Aufstellung zum Foto. Zunächst nebeneinander stehend, ein Lächeln in die Kameras. Dann wendet sich Klitschko dem Gegner zu. Nase an Nase, Stirn an Stirn. Der Herausforderung ins Auge sehen, so ist es Usus vor Boxkämpfen. Doch Lewis verweigert. Er dreht sich weg, schenkt dem Herausforderer nicht einmal einen flüchtigen Blick. Eine Minute später verlässt der Titelverteidiger die Halle so plötzlich, wie er gekommen ist. Als Letzter kommen, als Erster gehen, auch das ein Privileg des Weltmeisters. Doch seinen Ausmarsch beachtet niemand mehr. Ein Omen für Sonnabend?