Pferdesport: Reporter-Urgestein Hans-Heinrich Isenbart - seit 1930 beim Deutschen Springderby in Klein Flottbek.

ABENDBLATT: Herr Isenbart, vor 73 Jahren haben Sie Ihr erstes Derby miterlebt. Welche Erinnerungen sind Ihnen unauslöschlich? HANS-HEINRICH ISENBART: Ich glaube, es war 1936, als zum Entsetzen der Kavallerieschule keiner ihrer Offiziere das Blaue Band gewann, wie sich das in jenen Jahren gehörte, sondern ein Wachtmeister. Der Wachtmeister Nippe war mit einem grobschlächtigen Holsteiner Rappen namens Landrat Bester im Parcours. Es wurde dann noch versucht, das Resultat zu manipulieren und dem Mann einen Fehler unterzujubeln, bis schließlich der Kommandeur einschritt und sagte: Was hier versucht wird, hat mit Sport nichts mehr zu tun. Der Wachtmeister hat gewonnen! ABENDBLATT: Wie wurde das Derby von den Nationalsozialisten zelebriert? ISENBART: Es wurde wie alle Sportereignisse, die dem Regime dienlich sein konnten, stark aufgewertet und stand ganz im Zeichen der Offiziere der Kavallerie, an deren Können, zugegebenermaßen, die ausländischen Reiter zu der Zeit auch kaum heranreichten. Die spannendsten Zweikämpfe waren innerdeutscher Natur, denn die Konkurrenz kam aus der SS-Hauptreitschule München. Es gab eine spürbare Kontroverse zwischen der Tradition der reitenden Offiziere des Heeres und den Reitern der SS. Zu der Zeit wurde ja auch als Gegenstück zum Hamburger Galoppderby ums Blaue Band ein Großer Preis in München ins Leben gerufen, bei dem es um das Braune Band ging. Eine Farce. ABENDBLATT: Welche Bedeutung hatte das Derby in der Nachkriegszeit? ISENBART: Die Reiterei insgesamt war damals reiner Idealismus. Als Käthe Schmidt-Metzger das erste Derby nach dem Krieg gewann, ging es nur darum, Überlebenswillen zu demonstrieren, sei es auch mit den primitivsten Mitteln. Aber die Zuschauer strömten wieder herbei, ganz so, als wollten sie Erinnerungen an bessere Zeiten der Weimarer Republik auffrischen. Es war ein Symbol für den Wiederaufbau. Wenn wieder geritten wurde, war die Welt schon wieder ein Stück weit intakt. Damals ritt mit Dr. Walther Baltram sogar ein leibhaftiger Ministerpräsident mit, der von Schleswig-Holstein . . . ABENDBLATT: . . . der aber nicht der absolute Siegertyp im Parcours war, oder? ISENBART: Nein, das war damals schon der Elmshorner Fritz Thiedemann, der sechs Wochen vor dem Derby alle seine Pferde aus dem Turniersport zu nehmen pflegte, um sie gezielt auf Klein Flottbek vorzubereiten. Auf diese Weise wurde Thiedemann zum einzigen Reiter der Geschichte, dem es gelang, das Springderby mit fünf verschiedenen Pferden zu gewinnen. ABENDBLATT: Sicher auch mit dem legendären Meteor? ISENBART: Ja, aber eben nur ein einziges Mal. 1951 gewann Thiedemann mit dem "Dicken", wie sie Meteor liebevoll nannten. Ansonsten war er mit Loretto, Diamant, Finale und Retina erfolgreich, und was viele nicht wissen: Thiedemann war mit Meteor 14-mal im Derby weit vorn platziert, will meinen, unter den ersten sieben. Dreimal blieb er dabei ohne Fehler. Eine unvorstellbare Konstanz. ABENDBLATT: Ihren Worten ist zu entnehmen, dass Sie Fritz Thiedemann für die herausragende Reiterpersönlichkeit der Derbygeschichte halten. Gab es einen Sportler, der nicht in den Siegerlisten auftaucht und Sie dennoch nachhaltig beeindruckt hat? ISENBART: Da gab es viele, zumal kein Derby ohne Überraschungen ablief. Ich erinnere mich an einen jungen Mann namens Thies Kohlsaat, der schon dadurch auffiel, dass er im Großen Preis der Stadt Hamburg den Großen Wall rückwärts herunterrutschte, weil das Pferd sich oben vor Schreck gedreht hatte. Im Derby 1950 belegte er Rang zwei - mit 14 Jahren. ABENDBLATT: Hat der gesellschaftliche Stellenwert des Derbys im Laufe der Jahrzehnte eher ab- oder eher zugenommen? ISENBART: Auch heute noch lässt sich an dem doppelstöckigen weißen VIP-Zelt an der Stirnseite des Parcours ablesen, welche Bedeutung das Derby in betuchteren Kreisen nach wie vor besitzt. Und auch die Opening Night des Hauptsponsors Audi ist ein hochrangiges Ereignis. Dennoch scheint mir der Glanz früherer Tage ein wenig verblasst zu sein. Die Derbytage damals klangen mit einem großen Ball im Hotel Atlantic aus. Das war ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis für ganz Hamburg. Für die männlichen Besucher herrschte Frackzwang! ABENDBLATT: Es geht also bergab? ISENBART: Nein, aber die Zeiten ändern sich. Und im Übrigen: Wir reden hier über eines der absoluten Highlights im weltweiten Springsport. Allein in Deutschland werden aber jährlich 2400 Turniere ausgetragen. Der Spitzensport macht ja für die Reiterei nur maximal fünf Prozent aus. Nur den sehen wir, über den berichten das deutsche Fernsehen und das Hamburger Abendblatt. Was wir nicht sehen, ist, mit welchem Engagement, mit welcher Hingabe Leute den Sport betreiben, die mit der Reiterei nicht berühmt oder reich werden wollen. Der Sport lebt in der Breite, an der Basis, dort, wo die Sekretärin und der kleine Handwerker reiten, dort, wo Jugendliche auf Ponys anfangen, über Hindernisse zu springen. ABENDBLATT: Was halten Sie von der Forderung, Reiten als Schulfach anzubieten? ISENBART: Ich halte das für förderungswürdig, weil der Umgang mit Pferden für Kinder und Jugendliche von hohem pädagogischem Wert ist. Der Umgang mit einem Wesen, das sehr viel stärker ist als der Mensch und das trotzdem und erstaunlicherweise dem Menschen immer wieder dienstbar ist, allerdings ohne im Grundsatz sein Wesen zu verändern. Ein Pferd, das dient, wird nie zum Knecht, sondern bleibt immer in gewisser Weise eine zurückhaltend-aristokratische Persönlichkeit, die Respekt verlangt. Diese Behandlung zu erlernen bietet für Heranwachsende eine ausgezeichnete Grundlage, sich Verhaltensweisen anzueignen, die man benötigt, um mit Menschen umzugehen. ABENDBLATT: Bei einigen Sportarten, etwa Tennis, Formel 1 oder Fußball, geht es mittlerweile um Unsummen Geldes. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen mit unlauteren Absichten sich einmischen, um es mal zurückhaltend auszudrücken. Sehen Sie solche Gefahren auch für den Springsport? ISENBART: Natürlich. Überall wo viel Geld auf dem Spiel steht, wächst die Neigung, sich Erfolg mit unlauteren Mitteln zu ergaunern. Das ist in einem Bereich, in dem das Sportgerät ein Pferd ist, noch viel gefährlicher und verdammenswerter als anderswo. Dopt ein Athlet sich selber, vergeht er sich an seinem Körper, an seiner eigenen Gesundheit, dopt ein Reiter sein Pferd, ist die Sünde eine größere. Denn das Pferd handelt nicht aus freiem Willen, und es kann sich gegen solche medikamentösen Manipulationen nicht wehren. ABENDBLATT: Sie meinen, im Springsport wird gedopt? Akut? ISENBART: Ich fürchte ja. Das Geld verlockt zu Betrügereien. Böse Buben lauern überall und böse Mädchen auch. ABENDBLATT: Eine Weile hat das Thema Barren den Springsport erschüttert. Bewerten Sie diese Methode als grenzwertig, aber harmlos, wenn man es mit Doping vergleicht? ISENBART: Auch wenn ich mir den Zorn Ihrer Leser zuziehe: Ja! Barren ist eine akzeptable Trainingsmethode, wenn sie richtig angewendet wird. Ein Pferd durchs Touchieren mit einer leichten Bambusstange zur Aufmerksamkeit erziehen muss erlaubt sein und ist ein Verfahren, das ich als kleiner Buttje schon beobachtet habe. Das Barren gehört zum Repertoire aller erfolgreichen internationalen Reiter, und selbst Thiedemann hat es schon angewendet. Man muss dabei nur fürsorglich und verantwortungsvoll vorgehen. Wenn ich einen vierkantigen Balken hernehme und ihn dem Pferd vor die Knochen schlage, dann ist das allerdings eine Riesensauerei. ABENDBLATT: Finden Sie den Pferdesport derzeit ausreichend im Fernsehen repräsentiert? ISENBART: Das ist pauschal schwer zu beantworten. Man muss ja auch immer Acht geben, dass es nicht zur Überdosis wird. Daneben kommt es auf die Art der Übertragungen an. Pferdeschauen und Hengstparaden werden vom Publikum oft mehr geschätzt als Wettbewerbe. Wenn ich ein Springen mit mehreren Dutzend Startern übertrage, kann ich mitzählen, wie die Zuschauer sich nach und nach ausklinken. Würden wir die nächsten Zeilen dieses Interviews damit füllen, dass ich nur noch Pferde- und Reiternamen und deren Alter und Abstammung aufzähle, würden die Leser ja auch weiterblättern. Das ist zu öde. Geschickt aufbereitete Sendungen, die den Pferdesport in seiner Vielfalt abbilden, finden erfahrungsgemäß immer ein auch quotentechnisch ausreichendes Publikum. ABENDBLATT: Sie haben mit Ihrem immensen Wissen über Pferde ja als Kommentator in zahlreichen TV-Übertragungen geglänzt. Haben Sie in Ihrem langen Reporterleben auch mal ein Fußballspiel übertragen oder einen 400-Meter-Lauf? ISENBART: Nein, ein Fußballspiel würde ich mir auch nicht zutrauen, obwohl ich schon weiß, was Abseits ist. Aber insgesamt beschäftige ich mich zu wenig mit der Materie. Ich habe einige Ruderregatten übertragen und einige Fechtturniere, weil ich beide Sportarten auch selbst ausgeübt habe und mich darin zu Hause fühle. Gerudert habe ich in meiner Schulzeit am Hamburger Wilhelm-Gymnasium im Vierer und Achter noch auf der Alster. Ansonsten habe ich mich auf den Pferdesport spezialisiert, zumal diese Übertragungen eine enorme Vorbereitung erfordern, sollen sie hohen Ansprüchen gerecht werden. Außerdem, das fällt mir gerade ein, war ich mal Nordmark-Jugendmeister im Säbelfechten . . . ABENDBLATT: . . . und gehörten einer schlagenden Verbindung an? ISENBART: Um Himmels willen, nein! ABENDBLATT: Wer so lange wie Sie den Reitsport begleitet, kommt der überhaupt noch mit einem Ereignisgefühl zum Derbymeeting, oder ist das nur Routine? ISENBART: Nein, Ereignis. Mich begleitet stets eine Fülle freundlicher Erinnerungen nach Hamburg, weil so vieles den kleinen Jungen, den Jüngling Isenbart ebenso fasziniert hat wie den erwachsenen Mann und jetzt den Greis Isenbart. Hinzu kommt, dass dieser Parcours die weltbesten Pferde auf Herz und Nieren prüft, auf Treue zu seinem Reiter, auf Gehorsam und Aufmerksamkeit, auf Ausdauer über 1350 Meter und 24 Sprünge, ein Parcours, der Pferd und Reiter so prüft wie kein anderer auf dem Erdball. ABENDBLATT: Wie oft haben Sie als Turniersprecher in Flottbek am Mikrofon gesessen? ISENBART: In Aachen werde ich im kommenden Jahr zum 50. Mal sprechen und damit meinen Abschied nehmen. Wie oft ich in Hamburg kommentiert habe, weiß ich nicht genau. Es dürfte aber eine ähnliche Zahl sein. ABENDBLATT: Wie oft möchten Sie noch in Flottbek sprechen? ISENBART: Nach meinem Gefühl reichen Sprache, Temperament und Artikulation aus, um ein wenig weiterzumachen. Wenn ich anfange, tütelig zu werden, wie der Hamburger sagt, dann höre ich auf. Interview: WERNER LANGMAACK