Beim Großen Preis von Spanien kämpfen die Formel-1-Teams um die richtige Gummimischung für die erwarteten extremen Bedingungen.

Montmeló. Am Freitag war Sebastian Vettel wieder einmal schneller als alle anderen. Vor dem ersten freien Training zum Großen Preis von Spanien in Montmeló bei Barcelona (Sonntag, 14 Uhr/RTL und Sky) düpierte er die wartenden Journalisten mit einem knackigen Sprint quer durch das Fahrerlager hin zur Red-Bull-Box. Bevor die erste Frage gestellt war, saß der Weltmeister schon in seinem Boliden und rollte auf den Circuit de Catalunya.

Dort hängte er ebenfalls die meisten seiner Konkurrenten ab. Allein der spanische Lokalmatador Fernando Alonso (Ferrari) und der Brite Jenson Button (McLaren) kamen vor dem Heppenheimer ins Ziel. Vettel wird es verschmerzen können. Viel wichtiger als die Platzierung im Freitagstraining dürfte die Erkenntnis gewesen sein, dass die Pirelli-Reifen auch bei Hitze mit seinem Dienstwagen zu harmonieren scheinen. "Das war ein brauchbarer Vormittag", sagte Teamchef Christian Horner im Anschluss. Weil Horner mit seinen 48 Jahren nicht mehr ganz so flott zu Fuß ist wie sein Spitzenfahrer, entkam er den Journalisten nicht.

Prompt musste er jene Frage beantworten, die die Formel 1 seit Wochen umtreibt: die nach den Reifen. "Das Problem ist, dass zwölf Teams zwölf verschiedene Dinge von Pirelli verlangen und es wird nie ein Produkt geben, das jedermanns Anforderungen genügen wird", erklärte der Brite diplomatisch: "Es ist eine neue Herausforderung. Sicherlich haben die Reifen aus Sicht der Zuschauer in diesem Jahr für sehr spannende Rennen gesorgt."

+++ Vettel jeweils Trainingszweiter - Button Tagesschnellster +++

Doch die Freude der Fans ist zugleich das Leid der Fahrer. Prominentester Kritiker der schwer berechenbaren Zeitfenster, in denen die Pneus Vollgasrunden zulassen, ist Michael Schumacher. "Wir fahren wie auf rohen Eiern", hatte der Mercedes-Pilot nach dem für ihn enttäuschenden vergangenen WM-Lauf in Bahrain geschimpft. Er könne die Reifen überhaupt nicht voll belasten: "Andernfalls übertreibst du und landest im Nirgendwo." Paul Hembery, der Motorsportdirektor des italienischen Lieferanten, konterte spitzzüngig: "Wenn ein Fahrer verärgert ist und 23 zufrieden sind, dann können wir nicht viel machen."

Seit drei Jahren wird in der Formel 1 mit Einheitsreifen gefahren, seit vergangener Saison werden die Gummis von Pirelli hergestellt. Nach der Dominanz von Red Bull in der vergangenen Saison bekamen die Italiener den Auftrag von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, mit ihren Produkten für mehr Spannung im Kampf um die WM-Krone zu sorgen. Nach den ersten vier Rennen mit vier verschiedenen Siegern aus vier verschiedenen Rennställen lässt sich konstatieren: Das ist ihnen mit Bravour gelungen. Die vier zur Verfügung stehenden Reifenmischungen für trockenes Wetter sind sich so ähnlich wie nie - das ermöglicht den Teamstrategen eine schier grenzenlose Auswahl an taktischen Optionen. Das Taktieren beginnt schon mit den ersten Metern im freien Training. "Ich denke, die wirkliche Frage ist eine philosophische und nicht die, ob die Reifen gut, schlecht oder ganz egal sind", sagte Mercedes-Geschäftsführer Nick Fry in Barcelona. Er hat recht. Es geht um die Frage, wie viel Einfluss der Reifen auf den Ausgang eines Rennens vertretbar ist, ohne dass die Qualität der Fahrer dadurch marginalisiert wird. Nur wer den Code der Reifen entschlüsselt, kann gewinnen. Das gilt im Kleinen für den Grand Prix in Barcelona, dessen Strecke wegen seiner vielen Rechtskurven besonders fordernd für das linke Vorder- und die beiden Hinterräder ist. Und das gilt im Großen bis zum Saisonende im Kampf um den WM-Titel.

Der Lösung dieses Rätsels am nächsten scheint man bei Red Bull. Während der Testfahrten im italienischen Mugello konservierten die Österreicher ihre Führungsposition im Peloton: "Ich denke, dass wir in die richtige Richtung gehen", sagte Vettel: "Wir verstehen das Auto jetzt mehr." Kontrahent Alonso hingegen hofft, dass sie bei Ferrari überhaupt mal damit anfangen, ihren Boliden zu durchschauen.

Zehn Punkte beträgt der Rückstand des zweimaligen Champions auf Sebastian Vettel, abgesehen vom Sieg beim chaotischen Regenrennen in Malaysia verlief das Jahr bisher ernüchternd. Grund genug für die Scuderia, seinem Spitzenpiloten zu Beginn der Europasaison einen nahezu komplett neuen Dienstwagen hinzustellen. Allein acht neue Aerodynamik-Komponenten kommen in Barcelona zum Einsatz: andere Positionierung des Auspuffs, Modifikationen der Seitenkästen, Verbesserung des Diffusors. Bei den folgenden Rennen in Monaco, Montreal und Valencia sollen weitere mechanische Veränderungen folgen. Glaubt man Alonso, waren diese Umbaumaßnahmen dringend nötig. Bei den Überseerennen habe er sich in seinem Dienstwagen manchmal gefühlt wie bei einem "Drahtseilakt in 30 Meter Höhe" - so unsicher lag das Auto auf der Piste.

Genau wie für Mercedes und auch für McLaren geht es für Ferrari darum, den Rückstand auf Red Bull aufzuholen. Mit den Testfahrten verstrich zu Monatsanfang die letzte Frist für grundlegende Kurskorrekturen. Die Zeit der Ausreden ist damit abgelaufen. Wessen Autos innerhalb der nächsten drei Rennen nicht siegfähig werden, für den wird es eng im Titelkampf.