Der THW Kiel will nach dem 17. Titelgewinn auch noch den deutschen Pokal und die Champions League gewinnen

Kiel. Eine Minute und 32 Sekunden vor dem Ende des Bundesligaduells gegen den SC Magdeburg hielt FilipJicha, Aron Palmarsson und die anderen sogenannten Ersatzspieler des THW Kiel nichts mehr auf den komfortablen, blau-grauen Sitzen am Spielfeldrand der Sparkassen-Arena. Wie Kinder hüpften sie auf und ab, klatschten mit dem Publikum um die Wette und verfolgten ungeduldig die letzten Aktionen der Teamkameraden, bis feststand, was sowieso alle wussten: Der THW Kiel ist neuer deutscher Handballmeister. 58:0 Punkte lautet die makellose Bilanz der Schwarz-Weißen. Auch gegen streckenweise starke Magdeburger reichte eine durchschnittliche Leistung zum 32:27-Erfolg. Noch fünf Siege - und der THW macht sich unsterblich. Einen Titelgewinn mit null Minuspunkten gab es noch nie in der Bundesligahistorie. "Wir wissen das und werden versuchen, die Null zu halten", sagte Trainer Alfred Gislason.

Der 52 Jahre alte Isländer war der einzige Kieler, der nach dem Schlusspfiff keinerlei Miene verzog und den direkten Gang in die Katakomben der Sporthalle antrat, während seine Schützlinge wild im Kreis umhertanzten und bei Feuerwerk und schwarz-weißem Konfettiregen den 17. Titel der Vereinsgeschichte zelebrierten. Einzig Rückraum-Ass Filip Jicha war es gelungen, etwas Bier über den flüchtenden Meistertrainer zu schütten, was dieser wiederum reaktionslos über sich ergehen ließ. Er habe sich über einige Dinge geärgert, erklärte Gislason später. Unter anderem die Muskelverletzung von Christian Zeitz bereite ihm Sorge. Zum Feiern sei es jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt, da am Wochenende in der Hamburger O2 World das Final Four im deutschen Pokal bevorstehe mit dem Halbfinale gegen den HSV, den offiziell noch amtierenden deutschen Meister - und dann die mögliche Krönung der Saison, am 26./27. Mai die Endrunde der Champions League in Köln. Wohl auch deshalb standen für die Mannschaft am Mittwoch um zehn Uhr in der Frühe Auslaufen und leichtes Krafttraining auf dem Programm. Die Erfolge ausgiebig genießen, das könne man auch noch im Juni, nach der Saison, sagt Gislason. Und seine Spieler dächten genauso.

Erst die harte Arbeit, dann ein bisschen Vergnügen - kein Klub praktiziert diese Maxime derart konsequent wie der THW. In Kiel schütteln sie heute noch den Kopf über die Hamburger, die vor einem Jahr ihre deutsche Meisterschaft fünf Tage lang auf Mallorca in der Finca von Gesellschafter Andreas Rudolph begossen - und zwei Wochen später in Köln im Final Four der Champions League im Halbfinale an Ciudad Real scheiterten. Dieser Auftritt des HSV, erregte sich damals Eurosport-Kommentator Frank von Behren, sei eines Meisters nicht würdig gewesen.

"Wir fahren im Winter nicht Ski oder gehen im Sommer Golf spielen, sondern es wird richtig gelaufen", mochte sich Gislason in der Nacht des Triumphes einen Seitenhieb auf die Hamburger Konkurrenz nicht verkneifen, die in der vergangenen Woche im Promi-Mekka Ischgl weilte. "Deswegen gewinnen wir unsere Spiele oft in den letzten zehn Minuten." Dem Trainer, der täglich bis zu sechs Stunden Videos analysiert, liegt es jedoch fern, Schadenfreude zu hegen, dafür weiß er zu gut um die Kehrseite des Geschäfts: "Wir haben in der vergangenen Saison dieselben bitteren Erfahrungen gemacht wie der HSV in dieser, als uns das Verletzungspech an Händen und Füßen klebte. Fehlen dir wichtige Spieler, kannst du in der Bundesliga nicht Meister werden. Dafür ist diese Liga zu stark besetzt."

In der verlorenen Meisterschaft des vergangenen Jahres liegt eine der Ursachen für die momentane Dominanz der Kieler. "Wenn du plötzlich nicht mehr auf dem Rathausbalkon stehst und dir keine 20 000 Menschen zujubeln, weißt du, was du vermisst", sagt National-Linksaußen Dominik Klein. "Wir haben uns vor dieser Saison im Trainingscamp auf Réunion geschworen, dass so etwas nie wieder vorkommen darf." Aber nicht nur diese Extraportion Motivation löste die in der Handball-Bundesliga bislang einmalige Siegesserie aus, auch der mannschaftliche Zusammenhalt ist einer der Gründe, warum die Kieler in dieser Saison die Konkurrenz aus Hamburg, Flensburg, Berlin und Mannheim vom ersten Wurf an auf Distanz hielten. "Wir sind nicht nur eine Ansammlung von Weltklasse-Handballern", sagt der tschechische Welthandballer Filip Jicha, "wir sind auch ein Haufen guter Freunde. Und das ist in diesem Business längst nicht selbstverständlich."

Kiel, glaubt Bob Hanning, der Manager des Bundesligakonkurrenten Füchse Berlin, werde die Bundesliga wahrscheinlich noch auf Jahre beherrschen, "die anderen Klubs werden lange Zeit brauchen, um sich dem THW überhaupt nur anzunähern". Schließlich hätten die Kieler nicht nur die zurzeit beste Mannschaft der Welt, einen der zwei, drei besten Trainer der Welt, sie verfügten auf absehbare Zeit mit zehn bis elf Millionen Euro auch über den größten Etat der Bundesliga. Zum Feiern hätten auch in Zukunft wohl nur die Kieler Anlass - aber die wollen ja lieber erfolgreich Handball spielen.

Im Halbfinale der Champions League trifft der THW Kiel am 26. Mai in Köln auf die Füchse Berlin. 2. Halbfinale: AG Kopenhagen - Atlético Madrid.