Borussia Dortmunds Trainer war nach dem Titelgewinn mehr erleichtert als euphorisiert. Aus dem Häuschen dagegen “Punker“ Großkreutz.

Dortmund. Als all seine Mitspieler längst auf dem Weg zum Edel-Italiener waren, stand Kevin Großkreutz noch immer grölend vor der Umkleidekabine. Mit dem Outfit eines Punks, das ihm Verteidiger Felipe Santana noch auf dem Rasen verpasst hatte, sang der kahlköpfige Nationalspieler selbst über zwei Stunden nach der Partie inbrünstig wieder und wieder das Vereinslied. Bei keinem anderen Profi im Team von Borussia Dortmund war die Freude über den siebten Meistertitel größer. „Ich habe Gänsehaut, ich zittere am ganzen Körper“, gestand der gebürtige Dortmunder, „das ist doch Wahnsinn. Noch vor zwei Jahren stand ich selbst noch da oben auf der Tribüne.“

Die unbändige Freude von Großkreutz, der noch während seiner Zeit als Profi beim Zweitligisten Ahlen gegen den Wunsch seines damaligen Trainers regelmäßig in das Dortmunder Stadion pilgerte, passt ins Bild von einer mit viel Leidenschaft erspielten Meisterschaft.

Schon seit Monaten verzückt der schnörkellose und kostengünstige Jugendstil der Borussia Fußball-Deutschland. „Es hätte die Gesetzmäßigkeiten des Sports konterkariert, wenn diese Mannschaft nicht Meister geworden wäre“, sagte BVB-Coach Jürgen Klopp nach dem 2:0 (2:0) über den 1. FC Nürnberg .

Selten war ein Titel verdienter, kaum jemals fielen die Gratulationen selbst der Konkurrenten so euphorisch aus. Schließlich trat Dortmund den Beweis aus, dass man auch ohne millionenschwere Investitionen die Schale gewinnen kann. Zudem gab es in der Bundesliga-Historie noch nie einen Meister mit einem geringeren Durchschnittsalter.

Nach monatelanger Alleinherrschaft an der Tabellenspitze bewies der zuletzt leicht wankende BVB im entscheidenden Moment Nervenstärke und zog nach dem zeitgleichen 0:2 von Verfolger Leverkusen in Köln bereits am 32. Spieltag uneinholbar davon. Die Treffer von Lucas Barrios (32.) und Robert Lewandowski (43.) bescherten dem Revierclub bereits am 32. Spieltag bei nun wieder acht Punkten Vorsprung das ersehnte Happy End.

Nur gut sechs Jahre nach der im letzten Moment abgewendeten Insolvenz meldete sich der Branchenriese mit einem Paukenschlag zurück. Wohl auch deshalb fiel die Meisterparty fast noch euphorischer aus als bei denen mit viel Geld erkauften Titeln 1995, 1996 und 2002.

Nach dem Schlusspfiff erbebte das größte Bundesliga-Stadion in seinen Grundfesten. Unter ohrenbetäubendem Jubel der Fans ließen die Profis ihren Trainer vor der mächtigen Süd-Tribüne hochleben. Sowohl Sportdirektor Michael Zorc als auch Präsident Reinhard Rauball stellten beim vergeblichen Versuch, der Bierdusche der Profis zu entkommen, erstaunliche Sprintqualitäten unter Beweis.

Inmitten der brodelnden Kulisse reagierte der ansonsten impulsive Klopp vergleichsweise gefasst. Mehr besinnlich als berauscht schloss er seine Profis der Reihe nach in die Arme. „Es fühlt sich anders an, als ich vorher gedacht hatte. Der Druck war größer, als wir uns vielleicht eingestanden haben. Deshalb ist die Erleichterung tausendmal größer als die Euphorie“, kommentierte der klatschnasse Fußball-Lehrer seinen ersten Titelgewinn.

Ähnliche Demut wie der umjubelte Trainer empfanden die BVB-Führungskräfte. „Was die Jungs geleistet haben, ist nicht in Worte zu fassen. Soweit ich das beurteilen kann, ist diese Meisterschaft die größte Leistung der Vereinsgeschichte“, schwärmte Sportdirektor Zorc. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke erinnerte bei aller Freude über den überraschenden Triumph an die zurückliegenden schwierigen Jahre: „Selbst in einem solchen Moment muss ich an den März 2005 zurückdenken“, sagte er mit Bezug auf den Showdown im Düsseldorfer Flughafen, als Anleger den Traditionsclub mit ihrem Votum für ein Sanierungskonzept vor dem finanziellen Ruin bewahrt hatten.

Bis in die zweite Halbzeit hinein konnte sich die Borussia ihrer Sache trotz einer 2:0-Führung nicht sicher sein. Doch als Stadionsprecher Norbert Dickel per Mikrofon in der 65. Minute den Führungstreffer der Kölner gegen Leverkusen bekanntgab, brach in der WM-Arena ein Jubelsturm los. „Da habe ich gedacht, das Stadion explodiert“, sagte Mats Hummels. Wirklich überraschend kommt der Titel für den Innenverteidiger jedoch nicht: „Schon am Ende der Hinrunde gab es eigentlich keine Zweifel mehr, wer in dieser Saison Meister wird.“

Selbst der eher als zurückhaltend bekannte BVB-Präsident Rauball konnte sich der Magie des Augenblicks nicht entziehen: „Dortmund ist jetzt zwei Wochen im Ausnahmezustand, und da werde ich mich angemessen einbringen. Es ist sicher einer der emotionalsten Tage in meinem Leben, wenn ich von meinem Privatleben mal absehe."