Auf der Lieblingsinsel der Hamburger treffen offenes Meer und stilles Watt auf den rauen Charme der Bewohner und den Luxus wohlhabender Gäste.

Tanzen kannste doch?" Paul Walter, der Mann mit der Baseballkappe, strahlt jedes Mal, wenn er das Krabbenpulen auf seine Art erklärt: "Gehst mit auf die Tanzfläche, machst dich schlank. Dein Partner fasst dich an die Gürtellinie, " - in diesem Augenblick hält Walter eine Nordseekrabbe hoch und drückt sie in der Mitte ein wenig zusammen - "dann fummeln die Männer meistens am Pullover ..." - jetzt dreht er Kopf der Krabbe etwas gegen ihren Rumpf und löst beide Teile voneinander - fertig. "... gehen mit nach Haus ... und dann hat er die Krabbe für sich."

Diese Lektion bekommt man nur hier, in List, auf Deutschlands nördlichster Ferieninsel. Und der Mann, der eben die Poesie der Insel in seinen rauen Charme verpackt hat, ist heute 66 und der letzte Krabbenfischer von Sylt.

Gleich nebenan liegt wie ein riesiges blaues Schiff das Erlebniszentrum "Naturgewalten". Hendrik (16) ist mit seinem Pariser Freund Thierry gekommen, um es zu besuchen. "Formidable", begeistert sich Thierry (15). Er durfte dort das Wetter "machen", stellte Wellen- und Windstärke ein und war verblüfft über ihre gemeinsame Kraft. Hendrik ist beeindruckt, "welche Tricks Pflanzen und Tiere entwickeln, um der Natur zu trotzen - und sie damit überlebensfähig zu machen."

Sylt wird mit all dem Auftrieb und der ganzen Prominenz als Insel eigentlich verkannt. Tatsächlich ist das Umwerfendste an ihr nach wie vor die Landschaft, die bei aller Unterschiedlichkeit überall reizvoll ist. Am intimsten erlebt man Sylt zu Fuß oder per Rad auf der Trasse, auf der die Lokomotiven "Eisenherz" und "Jungnickel" bis 1970 die Bahn über die Insel zogen. "Wer sich die Zeit für Entdeckungstouren rechts und links des Weges nimmt, wird nicht enttäuscht", weiß Luise Petersen aus Wenningstedt. Es ist schwer, sich dem Charme der Orte zu entziehen: das malerische Keitum, die friesische Dorfschönheit, der Badebetrieb von Westerland, Wennigstedt, der Familienort, und Kampen, wo sich Rummel, Luxus und Ruhe ein Stelldichein geben. Zu empfehlen sind die Bretterwege am Watt entlang und zum Meer, in das man zwischendurch eintauchen kann. Das Toben und Wandern auf den Dünen und in der Heide ist übrigens verboten. Atemberaubende Blicke auf eine unzerstörte Landschaft lohnen die Vorschrift. Am Strand locken Saunas und Bistros. Letzteren schlägt abends die große Stunde: "Für uns Hamburger Schüler, die Klassenreisen nach Puan Klent machten, war der Sonnenuntergang schon vor 35 Jahren ein Muss", erzählt Annette Blöker aus Barmbek, die seitdem regelmäßig kommt. "Eine Woche Sylt im Jahr muss sein!" Die Gesundheit dankt es ihr: "Das erspart mir Erkältungen."

Natürlich gibt es auch lebhafte Ecken. Die Westerländer Fußgängerzonen zum Beispiel, oder die Bars in Kampen, wo man zwar nicht schön sein muss - obwohl es vielleicht etwas hilft -, sondern vor allem reich. Beeindruckender ist aber die freie Natur. Das Watt bezaubert mit seinen Stimmungen zwischen kommendem und gehendem Wasser, und die Westküste bietet bei Sturm eine gewaltige Wellenlandschaft. Über die Heide stolzieren Fasane. Karnickel hoppeln durch die Dünen. "Mondlandschaft oder Feengebiet, ich kann mich wirklich nicht entscheiden", sagt Detlev Heinrich, ein Karlsruher Sylt-Fan. Im Frühjahr schmücken schüchterne Triebe die Hügel, und bei einer bestimmten Abendbeleuchtung verwebt sich im Gegenlicht ein Hauch zartgrünen Mooses mit feinen Spinnenfäden, als ob schon Altweibersommer wäre. Im August zeigt sich die Heide dann in einheitlichem Lila. Detlev Heinrich ist immer wieder hingerissen: "Für mich ist das hier eine ganz andere, geheimnisvolle Welt, am östlichsten Punkt der Insel, wie eine Spielzeugeisenbahn-Szenerie."

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Sylt von allen Breitseiten, das sind auch die "Seekühe" querab vom Nordseeheim Klappholttal, das der Hamburger Knud Ahlborn 1919 als Jugendheim gründete. Krabbenfischer Paul Walter behauptet gerne: "Die werden morgen wieder gemolken". In Wahrheit sind es nur Gestelle, die den Engländern einst als Bombenziele zum Üben dienten. Aber sie haben das recht gut überstanden. Damals war Walter noch ein kleiner Junge und bekam von den Fischern Schollen und Krabben geschenkt. "Die hab ich dann zu meiner Familie durchgeschmuggelt, obwohl sie eigentlich nur für die Aliierten waren."

Die Buhne 16 ist - aufgrund der örtlichen Gemeinschaft mit dem FKK-Badestrand von Kampen - der berühmteste Versuch, der Nordsee ihre Kraft zu nehmen, was übrigens, wie man heute weiß, so nicht klappt. Überhaupt war das vielseitige Kampen immer schon Anziehungspunkt für Dichter, Maler und Prominente wie Gunter Sachs, Curd Jürgens und Oswald Kolle. Filme wie "Strandgut" und "Die Schönen und die Reichen" prägten das Image nach außen. Heute werden hier Schmuck, Kleidung und Häuser teuer verkauft.

Und das ist nicht die einzige Veränderung. Detlev Heinrich weiß, wie es nach 1945 war: "Damals holten die Fischer fürs Wochenende 12 bis 14 Zentner Krabben aus dem Meer. Heute sind es oft nur um die 40 Pfund pro Fang." Das macht Sylter Krabben so wertvoll: Die Gegend ist überfischt. Zum Glück gibt es auf der Insel heute Institutionen, die auf so etwas aufmerksam machen. Sogar manche Gäste beteiligen sich am Inselschutz. Detlev Heinrich spielt auch mit diesem Gedanken - und will das heute Abend noch einmal mit seiner Frau überdenken. "Ich hole jetzt in List Krabben vom Krabbenstand, frisch und ohne Konservierungsstoffe. Dann setzen wir uns mit einer Flasche Weißwein auf eine Bank am Watt unter den hohen Himmel von Sylt, pulen die Krabben, essen sie und lassen das Kreischen der Möwen auf uns wirken. Mehr Sylt geht nicht."

Lesen Sie am Montag: Cuxhaven und Neuwerk - Tausende Urlauber zieht es jährlich ins Cuxland. Vor allem die Wattwanderung nach Neuwerk im gesunden Nordseeklima macht einen Besuch so besonders reizvoll.

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