Der Frachter hat Waffen für Abessinien geladen“, flüsterten Sylter mit Sinn für Sensationen, als im Herbst 1935 die “Adrar“ südlich von Kampen strandete.

Die Behauptung war kühn und außerdem falsch, passte aber zur alten Sylter Strandpiraterie-Szene: Seit 1667 gab es zwar offiziell bestellte Strandvögte auf der Insel. Sie mussten, wenn ein Schiff strandete, dafür sorgen, dass die Schiffbrüchigen gerettet und das Strandgut geborgen wurde. Davor war Sylt für Seefahrer aber ein Schreckensgebiet: Strandräuber lockten Schiffe mit falschen Lichtzeichen an die Küste, bis sie kenterten, ermordeten die Besatzung und stahlen die Ladung. Ihre Opfer verscharrten sie in den Dünen. Später, unter den Strandvögten, wurden die angeschwemmten Güter gesammelt und am Strand versteigert. Vom Erlös erhielt der Landesherr zwei Drittel, ein Drittel bekam der Strandvogt - davon zahlte er seine Helfer. Heute stranden Schiffe nur noch selten. 1990 wurden die Strandvogteien deshalb aufgegeben. Übrigens: Die "Adrar" - sie hatte in Wirklichkeit Porzellan geladen - kam erst nach zehn Monaten wieder frei. Seitdem hieß besagter Strandabschnitt "Abessinien", und mit diesem Namen wurde bald auch das gesamte Sylter Nacktbadewesen belegt.